Der Bauernbursche
Ein Bauernbursche ging an einem Sonntagabend von seiner Heimat weg, um
zu einem Mädchen heimgarten zu gehen. Er hatte ziemlich weit bis
zum Haus des Mädchens, und sein Weg führte ihn über einen
Bach und dann durch einen pechfinsteren Wald.
Da stand mitten zwischen den riesigen Bäumen eine Kapelle, und dort
erblickte der Bursche einen großmächtigen Kerl, den er nicht
kannte. Er glaubte aber, daß er in der gleichen Absicht dieses Weges
sei, wie er selbst. Er redete ihn an, und sie hatten noch nicht viele
Worte gewechselt, da ging es ans Streiten. Vom Streiten kam es zum Raufen,
und der Bauernbursche mußte sich lange Zeit mit dem Fremden herumbalgen,
bis er ihn endlich zu Boden warf. Da kam es ihm vor, als wenn er einen
Kohlsack niedergeworfen hätte.
Der Unbekannte, der unter ihm auf dem Boden lag, erhob seine Stimme und
sagte: "Laß mich sogleich auf, oder ich zerreiße dich
wie Sonnenstäubchen."
Da merkte der Bursche, mit wem er es zu tun hatte, ließ den Kerl
auf und machte sich aus dem Staub. Als er nach Hause kam, merkte er erst,
daß er die Sohlen so durchgerannt hatte, daß die Stiefelröhren
bis zu den Knien heraufgeschoben worden waren. Er ging sogleich zum Vater
in die Kammer, weckte ihn auf und erzählte, wie es ihm ergangen war.
Der Vater richtete sich im Bett auf, hörte sich seine Erzählung
an und gab ihm dann einen tüchtigen Verweis, wie es sich für
einen vernünftigen Vater gehört.
(mündlich bei Meran)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854