Die Bauernmagd
In einem Dorf lebte einmal eine arme, aber brave Bauernmagd. Zu dieser
kam oft, wenn sie im Stall war und melkte, eine Krönlnatter und tat
gar freundlich. Als die Magd einmal wieder die Kühe melkte, kam die
Natter ganz nahe zu ihr und sprach: "Weil du ein braves Mädchen
bist und bisher keine schwere Sünde begangen hast, kannst du mich
erlösen. Ich werde in drei Tagen als abscheuliche Schlange wiederkommen,
dir dreimal um den Hals kriechen und dir zuletzt ein goldenes Schlüsselchen
in den Mund legen. Du darfst mich aber nicht wegschütteln, denn dann
hätte ich umsonst auf dich gehofft."
Nach diesen Worten verschwand die Natter ins Gemäuer. Am dritten
Tag abends, als die Magd allein im Stall war, kam ein abscheulicher Wurm,
der trug ein goldenes Schlüsselchen im Maul. Er kroch auf die Magd
zu und an ihr hinauf. Dann schlängelte er sich um ihren Hals. Sie
ließ das zweimal geschehen und blieb gefaßt. Doch wie er zum
dritten Male um ihren Hals sich schlingen wollte, war die Magd von einem
großen Grauen befallen, und sie schüttelte den Wurm von sich.
Da sprach er: "Du hast mich von dir gestoßen, und deshalb muß
ich noch hundert Jahre als Schlange umgehen und leiden. Hättest du
mich an deinem Hals gelassen, wäre ich erlöst, und du hättest
all das Geld bekommen, das ich während meines Lebens aus Geiz vergraben
habe."
Dann verschwand die Schlange und ließ sich viele Jahre nicht mehr
sehen.
(mündlich aus Tannheim)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854