Der Bettler
Ein Bettelmännlein kam einmal auf eine Alpe und bettelte um einen
Ziegenkäse. Er bekam auch ein ordentliches Stück, denn die Almer
waren mitleidige Leute und gaben gern von dem, was sie hatten. Das Stück
Käse legte der Bettler in seinen zerlumpten Hut, und während
er seines Weges fortging, schaute er nicht immer auf den Boden, sondern
jeden Augenblick betrachtete er wieder seinen Ziegenkäse. Den Fliegen
aber, die um ihn herumsummten, stieg der Geruch davon auch in die Nase,
und flugs saß es kohlschwarz auf dem Käse. Das Bettelmandl
wurde darüber zornig, nahm den Hut in die linke Hand und holte mit
der rechten zu einem tüchtigen Schlag aus. Patsch! Da klebten sieben
Fliegen maustot auf dem Käse. "Eins - zwei - drei - vier - fünf
- sechs - sieben - richtig, ihrer sieben sind's", sagte das Mandl
und wollte fast eher glauben, daß es falsch gezählt als daß
es eine solche Heldentat ausgeübt habe. Es zählte noch einmal
langsam und bedächtig, allein es kam wieder bis zum Siebener und
jauchzte laut auf: "Sieben auf einen Streich! Das müssen sie
im Dorf auch wissen!"
Gesagt, getan. Er nahm einen Fetzen Papier und schrieb darauf: "Sieben
auf einen Streich." Den Zettel heftete er sich auf den Hut, und so
zog er in das Dorf ein.
Alle Leute, die ihm begegneten, blieben stehen und schüttelten verwundert
die Köpfe. "Das muß ein Mordskerl sein", sagte einer
zum andern, "der schlägt sieben auf einmal tot."
Im Nu war die Nachricht vom Bettelmandl durch das ganze Dorf verbreitet.
Die Leute dachten sich, wenn der sieben Lottern auf einmal das Lichtl
ausbläst, so wird er einen Brummbären wohl auch kriegen. Man
bot nun dem Bettler einen großen Haufen Geld, wenn er den Bären
im Wald draußen erlegen würde. Er traute sich so etwas schon
zu und ging eilends in den Wald hinaus.
"Kommt mir das Vieh nur", brummte er vor sich hin, "ich
will mit ihm schon fertig werden. Wer sieben auf einen Streich totschlägt,
der fürchtet sich nicht vor einem Bärlein." Während
er so vor sich hin murmelte, kam der Petz langsam aus dem Dickicht herausgetrippelt.
Den Bären sehen und davonlaufen, das war eins. Ohne umzuschauen lief
das Bettelmandl bis zu einer Hütte, die ihm gerade am Weg lag. Da
lief es hinein und der Bär hintennach - aber der Bettler hatte Zeit,
schnell wieder umzukehren und bei der Tür herauszuschlüpfen.
Sobald er im Freien war, schlug er die Tür zu, und der Petz kam nimmer
aus.
Dem Bettler war jetzt freilich die Angst wieder vergangen und er lief
Hals über Kopf in das Dorf. "Jetzt geht hinaus schauen, wenn
ihr euch wundert. Dort draußen in der Hütte ist er eingesperrt",
so rief er den Leuten zu, die ihm begegneten.
Alle wunderten sich, daß er das wilde Vieh so mir nichts, dir nichts
in die Hütte hineingebracht hatte. Die jungen Burschen gingen hinaus
und wollten dem Petz den Garaus machen, konnten aber den großen
Kerl fast gar nicht meistern. Der Bettler, der bei der Arbeit zuschaute,
lachte sie tüchtig aus und sagte: "Schämt euch doch, wenn
ihr mit dem eingesperrten Bären nicht fertig werdet; schaut, ich
habe ihn gerade bei den Ohren genommen und in die Hütte gezogen.
Das ist was anderes!"
Die Burschen mußten sich auslachen lassen, allein endlich kriegten
sie den Petz doch, und nachdem die Geschichte so abgelaufen war, mußte
auch dem Bettler das versprochene Geld ausbezahlt werden.
Das Ding war gut, aber es dauerte nicht lange, da kamen die Leute auf
den Einfall, der starke Kerl, der den Bären bei den Ohren aus dem
Wald geführt habe, könne sich wohl auch über den wilden
Mann herwagen. Sie versprachen ihm wieder einen Haufen Geld, und der Bettler
geht in den Wald hinaus. Er wird des wilden Mannes bald ansichtig und
wettet etliche Male mit ihm, wer von beiden stärker sei. Allemal
aber gewinnt der wilde Mann, und der Bettler zieht den kürzeren.
Endlich fangen sie an, miteinander Prügel zu klieben. Es dauert nicht
lange, da klemmt sich der wilde Mann fest ein. "Geh nur gleich zu
meinem Weib, der Fangga, und laß dir den Eisenkeil geben",
sagt er zum Bettler.
Der Bettler geht zur Fangga und begehrt den Geldbeutel. Die Fangga weiß
nicht recht, wie sie daran ist, und schreit endlich ihrem Manne zu: "Oder
soll ihnen göbe?"
"Nun geschwind", schreit der wilde Mann.
Der Bettler kriegt den Geldbeutel und läuft davon. Er kommt zu einer
Schafherde, faßt heimlich von dem Hirten ein Lamm und steckt es
sich in den Hemdschlitz. Dann schneidet er dem Lamm während des Laufens
den Bauch auf und wirft die Gedärme heraus. Jetzt läuft er noch
schleuniger, und endlich versteckt er sich im Gebüsch.
Es dauert nicht lange, da kommt der wilde Mann atemlos dahergerannt, und
wie er die Schafhirten sieht, fragt er sie, ob da niemand vorbeigelaufen
sei.
"Freilich ist einer vorbeigelaufen, der hat sich selber den Bauch
aufgeschnitten, und dann ist's noch viel schleuniger gegangen als zuvor."
Wie der wilde Mann das hört, nimmt er ein Messer, schneidet sich
den Bauch auf und wirft die Gedärme heraus. "So, jetzt wird's
besser gehn", meint er, und da liegt er schon der Länge nach
auf dem Boden und gibt den Geist auf.
Der Bettler hüpft aus seinem Versteck hervor, betrachtet lustig den
toten Kerl und läuft ins Dorf zurück. "Geht hinaus, zu
schauen, wenn ihr euch wundert, da draußen liegt der wilde Mann
und tut keinen Zappler mehr. Aber jetzt her mit dem versprochenen Geld!"
Die Bauern gehen hinaus und sehen wohl, daß dem wilden Mann kein
Zahn mehr wackelt. Sie zahlen nun dem Bettler gern das versprochene Geld,
und der Bettler ist ein reicher Mann.
(mündlich aus dem Oberinntal)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854