Die Kröte
Vor langer Zeit lebte einmal ein armes Bäuerlein, das hatte drei
Söhne, zwei gescheite und einen närrischen, und der närrische
hieß Hansl. Der Vater war schon alt und schwach und konnte nimmer
recht arbeiten. Da sagte er einmal zum ältesten Sohn: "Wenn
du willst, so will ich dir jetzt das Heimatle lassen und dir noch dreihundert
Gulden geben, daß du die Wirtschaft anfangen kannst. Wenn du damit
einverstanden bist, so geh nur und schau dich um eine arbeitsame Frau
um, die dir hausen hilft."
Der Sohn hatte nichts einzuwenden und war bald handelseins mit dem Vater.
Der zweite Bruder hörte auch von der Sache, ging alsbald zum Vater
und sagte: "Vater, Ihr wollt meinem Bruder das Heimatle geben und
dreihundert Gulden, damit er heiraten kann. Gebt mir nur auch dreihundert,
ich will schon eine Frau finden, daß nicht viele ihresgleichen sind."
Der Vater ließ sich nicht lange bitten, versprach ihm die dreihundert
Gulden und ließ ihn auf die Brautwerbung gehen.
Da hörte auch der Hansl, daß seine zwei Brüder vom Vater
so viel Geld bekommen hätten und heiraten wollten. Er ging alsbald
zum Vater und sagte: "Vaterle, heiraten kann der Hansl schon auch.
Gebt mir nur dreihundert Gulden, und ich will mir schon eine Frau suchen."
Der Alte sagte: "Dreihundert Gulden will ich dir wohl geben, aber
du mußt sie gut aufheben und achtgeben, daß du nichts verlierst."
Der Hansl sagte, achtgeben wolle er schon, und bekam die dreihundert Gulden.
Die drei Brüder gingen nun auf die Brautwerbung, aber dem Hansl ging
es am schlechtesten. Die anderen zwei hatten schon ihre Frauen und wußten
gleich, wohin gehen. Aber der Hansl hatte noch nie ans Heiraten gedacht
und mußte jetzt nur aufs Geratewohl seinen Weg gehen. Er ging hinaus
in den Wald und dachte darüber nach, daß er jetzt heiraten
sollte. Es kam ihm doch etwas sonderbar vor, heiraten wollen, ohne eine
Braut zu haben, aber ihm war deswegen nicht bang, und er dachte sich:
Jetzt ist's ganz gleich. Was mir begegnet, das heirate ich, sei es Mensch
oder Tier.
Er ging noch eine Weile fort, da hüpfte eine Kröte über
den Weg und kam fast dem Hansl zwischen die Füße.
"Möchtest du nicht heiraten?" sagte sogleich der Hansl.
"Heiraten möchte ich wohl", erwiderte die Kröte.
"Möchtest du mich, wenn du mich kriegen könntest?"
"Ja, freilich möcht' ich dich."
"Nun, wenn du mich magst, so ist die Sache auch schon abgesprochen;
ich geh' jetzt heim zu meinen Brüdern und will es ihnen sagen."
Die Kröte hatte nichts dagegen, und der Hansl ging heim zu seinen
Brüdern.
Die Brüder lachten ihn tüchtig aus und sagten: "Ach, Hansl,
bist du auch da? Du wirst schon etwas Sauberes haben von einer Braut.
Wo bist du denn hingegangen auf die Werbung?"
Der Hansl ließ sie fragen und spotten und kümmerte sich nicht
darum.
Nun gingen alle drei Brüder zum Vater und erzählten ihm, daß
sie es jetzt in Richtigkeit haben und bald heiraten wollten. Da sagte
der Vater: "Ja, wenn ihr aber alle drei heiratet, wem soll ich denn
das Heimatle geben? Wir müssen es halt auf eine Probe ankommen lassen.
Wißt ihr was: Ich gebe jedem von euch eine Reist, und die Reisten
tragt ihr zu euren Bräuten. Die sollen dann die Reisten spinnen,
und wer von euch seine Reist am schönsten gesponnen zurückbringt,
dem soll das Heimatle gehören."
Die Brüder waren mit diesem Antrag zufrieden und bekamen die Reisten.
Die andern trugen den Flachs alsbald zu ihren Mädeln und sprachen
ihnen lange Zeit zu, sie sollten das Garn recht klug und fein machen.
Der Hansl machte sich auch auf den Weg und ging mit seinem Strähn
tief hinein in den Wald. Endlich kam die Kröte dahergepatscht und
fragte den Hansl, warum er denn die Reist mit sich bringe.
"Die Reist mußt du mir spinnen", sagte der Hansl, "und
wenn du schöner spinnen kannst als die Bräute meiner zwei Brüder,
so bekommen wir zu den dreihundert Gulden auch noch das Heimatle, und
das ist schon der Mühe wert, daß du dich zusammennimmst."
"Zusammennehmen will ich mich schon", antwortete die Kröte.
"Gib mir jetzt die Reist, und morgen kannst du das Garn abholen."
Der Hansl gab ihr die Reist und ging wieder heim.
Am dritten Tag brachten die älteren beiden Brüder das Garn zum
Vater und sagten, er solle jetzt entscheiden, welcher von ihnen eine bravere
Braut habe und die Heimat bekomme. Da war der Vater über die Maßen
erstaunt wegen des feinen Fadens, den die beiden Bräute gesponnen
hatten. Er wußte nicht, welchem Sohn er das Heimatle geben sollte,
und kratzte sich gerade einmal hinter den Ohren.
Der Hansl war aber auch inzwischen zu seiner Kröte gegangen und hatte
das Garn geholt. Er brachte es seinem Vater und sagte: "Da, schaut
einmal, wie schön meine Braut spinnen kann. Das Heimatle wird wohl
mir gehören?"
Der Vater traute kaum seinen Augen, als er das feine Gespinst betrachtete,
und wenn er das Garn der Brüder damit verglich, so kam ihm gerade
vor, als wenn er früher nur Rupfen in der Hand gehabt und das Flachsene
erst der Hansl gebracht hätte. "Freilich gehört dir die
Heimat", sagte er zum Hansl, "und morgen müßt ihr
alle drei eure Bräute bringen, dann wollen wir ein Mahl anrichten
und lustig sein in Ehren."
Am anderen Tag gingen die zwei älteren Brüder um ihre Mädchen,
und auch der Hansl schickte sich an, in den Wald hineinzugehen. Er dachte
sich aber: Die Kröte hüpft doch nicht bis hierher, der Weg ist
nun einmal zu weit. Er nahm daher ein Milchkübele mit und wollte
die Kröte darin heimtragen.
Als er in den Wald kam und die Kröte sah, sagte er: "Komm, Krötl,
du sollst heute mit mir heimgehen und beim Mahl mithalten. Der Weg ist
dir aber gewiß zu weit. Hüpf ins Milchkübele, und ich
will dich heimtragen."
Die Kröte sagte: "Ich lass' mich nicht tragen, ich geh' schon
selbst."
"Wenn du gehen willst, so ist's auch recht", sagte der Hansl
und ging voraus. Die Kröte hüpfte fleißig hinterdrein,
und bald hatten sie ein gutes Stück Weges zurückgelegt. Da fing
der Wald an stockfinster zu werden, und dem Hansl kam alles ganz unbekannt
vor. Er begann verzagt zu werden und dachte bei sich selber: Der rechte
Weg kann das nimmermehr sein, aber daß ich mich verfehlt habe, kann
ich auch nicht glauben. Ich bin ja oft durch diesen Wald gegangen und
habe den Weg noch immer gefunden. Weil er sich gar nimmer auskannte, so
klagte er der Kröte seine Not und wollte mit ihr beratschlagen, was
da zu tun sei.
Die Kröte aber sagte: "Geh du nur vorwärts, du wirst schon
heimkommen." Der Hansl folgte ihr und ging vorwärts.
Sie waren nicht lange Zeit gegangen, da öffnete sich der Wald, und
vor ihnen lag ein großer, ebener Platz, der vom frischesten Grün
überwachsen war. In der Mitte des Platzes lag ein ungeheurer Steinhaufen,
und neben dem Steinhaufen stand eine großmächtige Haselhecke.
Als sie da im Freien standen, fing die Kröte wieder an zu reden und
sagte: "Hansl, jetzt schneid von der Haselhecke das längste
Reis ab und schlag damit so lange auf den Steinhaufen, bis du nichts mehr
in der Hand hast."
Der Hansl nahm sein Messer aus der Tasche, ging zur Haselstaude, schnitt
den längsten Zweig ab und fing an, lustig auf den Steinhaufen einzuhauen.
Er schlug, daß die Splitter nach allen Seiten flogen, und schlug
so lange, bis ihm nichts mehr in der Hand blieb. Und siehe da! Auf einmal
war der Steinhaufen in das allervornehmste Schloß verwandelt, daneben
stand anstatt der Haselhecke ein Pferdestall mit den allervornehmsten
Rossen, und aus der Kröte war eine wunderschöne Frau geworden,
die sich der Hansl nicht genug anschauen konnte. Aber der Hansl war auch
nicht der närrische Hansl geblieben, sondern in einen gescheiten
verwandelt worden, und zwar in einen so gescheiten, daß es auf der
ganzen Welt nicht seinesgleichen gab. Jetzt tat die schöne Frau ihren
Mund auf und sagte: "Siehst du, Hansl, das alles gehört jetzt
uns. Als meine Eltern starben, hätte ich einen vornehmen Herrn heiraten
sollen, den habe ich aber nicht gemocht. Dafür bin ich verwunschen
worden, daß ich als Kröte herumziehen soll, bis ich etwas anderes
zu heiraten kriege. Weil du mich gemocht hast, bin ich erlöst, und
jetzt sollen unsere lustigen Tage anfangen. Geh nur gleich in das Schloß,
leg dir die schönsten Herrenkleider an und nimm das schönste
Sattelzeug, das du findest. Geh dann in den Stall und sattle die zwei
schönsten Pferde, daß wir zu deinem Vater heimreiten können.
Ich will auch indes in das Schloß gehen und mich mit den schönsten
Kleidern herausputzen."
Der Hansl tat, wie ihm befohlen war, ging in das Schloß, kleidete
sich um, nahm dann das schönste Sattelzeug und sattelte die zwei
schönsten Pferde. Dann setzten sie sich auf und ritten der Heimat
des Hansl zu.
Die Brüder und der Vater hatten indes immerfort auf den Hansl gewartet
und fingen an, ungeduldig zu werden über sein langes Wegbleiben.
Sie schauten in einem fort zum Fenster hinaus und meinten, jetzt und jetzt
müsse er kommen, aber wer immer nicht kam, das war der Hansl.
Als es schon anfing, Nacht zu werden, da kamen ein vornehmer Herr und
eine vornehme Frau des Weges dahergeritten. Die kostbaren Steine, die
sie an den Gewändern trugen, sah man schon von weitem glitzern, und
die Pferde hatten einen so stolzen Gang, als ob sie einen König zu
tragen hätten. Da sagten die Brüder des Hansl zueinander: "Was
sind etwa das für Herrschaften, die so spät daherreiten?"
Sie schauten fortwährend auf die zwei Reiter hinaus und machten große
Augen, als diese gerade auf das Haus losritten und dort abstiegen. Der
Herr führte die Frau in das Zimmer hinein zu den Brüdern und
gab sich zu erkennen, daß er der Hansl sei, zeigte ihnen seine Frau
und erzählte lange Zeit von seinem Glück und Reichtum und wie
er das alles erlangt habe. Das vornehme Brautpaar gab dann den zwei Brüdern
ein schönes Geschenk, hielt eine lustige Hochzeit und ritt wieder
heim in das Schloß.
Und die mir das Geschichtlein erzählt hat, ist auch bei der Hochzeit
gewesen und hat gegessen und getrunken und ein wenig abgespült.
(gehört von einer Passeierin in Meran)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854