Der Gang zur Apotheke
Es wurde einmal ein Knabe in die Apotheke geschickt, um ein Nichts im
Wasserl zu holen. Er fürchtete den Namen der Arznei zu vergessen
und sagte daher auf dem Wege immer vor sich hin: "Nichts im Wasserl
- nichts im Wasserl."
Einige Fischer, die am Weg saßen und seine Worte hörten, wurden
darob überaus zornig, gaben ihm eine Anzahl Ohrfeigen und sagten,
er müsse nicht sagen: "Nichts im Wasserl", sondern: "Einen
nach dem andern."
Der Bub merkt sich das, besonders wegen der Ohrfeigen, und sagte nun immerfort:
"Einen nach dem andern - einen nach dem andern." Bald kam er
an einem Haufen Leute vorbei, die zusahen, wie einer gehängt wurde.
Er ließ sich nicht irremachen und wiederholte fleißig dabei:
"Einen nach dem andern." Die Leute, die das hörten, verwiesen
ihm seinen Mutwillen und sagten: "Du mußt sagen: 'Gott tröste
die arme Seel'!'"
Der Bub ließ sich nicht zweimal warnen und sagte in einem fort:
"Gott tröste die arme Seel' - Gott tröste die arme Seel'."
Mit diesen Worten ging er seines Weges, und es begegnete ihm bald ein
Schinder mit einem krepierten Roß. Dieser ward zornig über
den Buben wegen seiner gottlosen Rede und prügelte ihn tüchtig
durch.
Dann gab er ihm Weis' und Lehre und sagte: "Du mußt sagen:
'Das Sauleder stinkt.'" Der Bub merkte sich die Worte, besonders
wegen der Prügel, und sagte nun immerfort: "Das Sauleder stinkt
- das Sauleder stinkt." Da kam des Weges ein Herr mit einer schönen
Frau am Arm, und als der die Worte des Buben hörte, wurde er krebsrot
vor Zorn, wichste ihm mit seinem Stock ein paar Ordentliche auf und gab
dann neue Weis' und Lehr, indem er sagte: "Du mußt sagen: 'Das
ist ein schönes Ding.'"
Der Bub merkte sich die Worte, besonders wegen der Streiche, und sagte
immerfort: "Das ist ein schönes Ding - das ist ein schönes
Ding." Sein Weg führte ihn an einem Schusterhaus vorbei, an
dessen Fenster der Meister gerade Schuhe nagelte. Wie dieser den vorbeigehenden
Buben ein um das andere Mal sagen hörte: "Das ist ein schönes
Ding", wurde er neugierig und schaute zum Fenster hinaus. Während
er die Augen anderswo als bei der Arbeit hatte, schlug er sich einen Nagel
in den Finger. Deshalb wurde er über den armen Buben zornig, lief
hinaus und haute ihn tüchtig durch.
Der Bub getraute sich nun nimmer zu sagen: "Das ist ein schönes
Ding", und weil ihn der Schuster auch nichts anderes dafür gelehrt
hatte, so hatte er gar nichts zu sagen, und er wußte nicht, was
er in der Apotheke verlangen sollte. Er kehrte also um und schleunte 1)
sich nach Hause zurück zu Vater und Mutter. Diese verlangten von
ihm die Arznei, und weil er keine mitgebracht hatte, so ging die Musik
aufs neue los, und der Bub bekam Schläge, daß sich ein Stein
über ihn hätte erbarmen mögen.
1) schleunen: sich beeilen
(mündlich aus Kramsach)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854