Der starke Hansl
Ein armes Bäuerlein hatte viele Knaben, mit denen er sich hart durcharbeitete;
denn ein jeder hatte einen großen Löffel, keiner aber konnte
etwas verdienen. Nachdem sie aber größer geworden waren, mußten
sie aus dem Haus, um sich ihr Brot durch der Hände Arbeit selbst
zu verdienen. Der älteste davon, Hansl genannt, war ein sehr starker
Bursche, der bald bei einem Bauern einen Platz fand; denn dieser glaubte
dadurch einen zweiten Knecht zu ersparen, wenn er den starken Hansl ins
Haus brächte.
Gleich am ersten Tag mußte Hansl dreschen, aber siehe! Alle Dreschflegel
waren dem Hansl zu leicht, er schlug sie alle auf den ersten Streich entzwei.
Er ging deshalb in den Wald hinaus und machte sich von zwei großen
Bäumen einen, der für ihn paßte. Aber mit diesem Dreschflegel
hatte er bald die Tenne durchgeschlagen, so daß jetzt schon der
Bauer Sorgen bekam, wie es etwa wohl das ganze Jahr mit einem solchen
Knecht gehen werde. Er machte jedoch für diesmal bloß ein saures
Gesicht und sagte zum Hansl, er sollte jetzt mit den andern Dienstboten
essen gehen, damit er hernach in den Wald fahren könnte, um Holz
für eine neue Tenne zu holen.
Beim Essen waren aber dem Hansl die gewöhnlichen Löffel viel
zu klein; er ging deshalb in die Küche, nahm den Schöpflöffel
und fischte damit den anderen Tischgenossen die Nudeln in einigen Minuten
weg. Da fing die Bäuerin zu jammern an, als sie für die anderen
Leute noch einmal kochen mußte; aber es war umsonst, denn Hansl
war für ein ganzes Jahr gedungen worden, und die Bäuerin mußte
bald still sein, um die Sache nicht noch ärger zu machen.
Hansl war unterdessen mit zwei Ochsen und einem großen Wagen in
den Wald hinausgefahren, um Bäume für die neue Tenne zu holen.
Hier riß er die größten Bäume samt den Wurzeln aus
der Erde und lud sie auf den Wagen. Die Ochsen waren aber nicht imstande,
die ungeheure Last vom Fleck zu bringen. Er band die Ochsen deshalb auch
auf den Wagen und zog alles selbst nach Hause, wo er die neue Tenne bald
fertig hatte.
Der Bauer sann nun auf eine List, sich den unlieben Knecht vom Hals zu
schaffen. Er befahl ihm, einen Ziehbrunnen zu graben. Wie Hansl bei dieser
Arbeit etliche Klafter tief in der Erde war, da trug der Bauer wetteifernd
mit seiner Frau große Steine herbei und wälzte sie auf ihn
hinab. Er aber rief von unten herauf, man solle doch die Hühner wegtreiben,
die ihm immer Sand in die Grube hineinscharrten, sonst komme er mit der
Arbeit nicht weiter.
Wie die zwei an der Grube das hörten, da wußten sie sich gar
nicht zu helfen. Sie blickten lange ratlos herum und sahen endlich einen
großen Mühlstein, den sie herbeizuschaffen und hinabzuwälzen
beschlossen. Es kostete sie viel Mühe, den großen, schweren
Stein von seinem Platz bis an den Rand des Brunnens zu bringen, aber nach
längerer Anstrengung gelang es ihnen doch. Wie sie ihn hinabwarfen,
fiel der Stein so auf, daß der Kopf des Hansl mitten durch das Loch
fuhr und ihm der Stein auf den Schultern festsitzen blieb.
"Juchei!" rief Hansl und stieg aus der Grube herauf. "Juchei,
jetzt hab' ich einen Sonntagskragen, wie ich noch nie einen so schönen
hatte." Vor Freude hüpfte und tanzte er wie rasend eine Zeitlang
herum, legte dann seinen Sonntagskragen ab und stieg wieder in die Grube
hinab, wo er nun ungehindert fortarbeiten konnte.
Da fiel den geängstigten Bauersleuten noch ein Mittel ein, sich den
Knecht vom Hals zu schaffen.
Nicht gar weit vom Dorf war eine einsam stehende Mühle, deren letzter
Eigentümer, ein rechter Geizhals, sich um eine große Summe
Geldes mit Leib und Seele dem Teufel verschrieben hatte. Auf einmal war
aber der Müller verschwunden, die Mühlen standen, und niemand
wagte sich in deren Nähe, denn es war nicht geheuer darin, und man
sagte allgemein, die Teufel hätten dort ihren Wohnsitz genommen.
Nach dieser Mühle nun sandten die Bauersleute den Hansl, der von
der ganzen Geschichte nichts wußte, mit einem großen Wagen
voll Getreide, um es zu mahlen. Wie er bei der Mühle ankam, war die
Tür fest verschlossen; drinnen aber lärmte und polterte es fürchterlich
herum. Hansl sprengte die Tür; da hüpften und sprangen Dutzende
schwarzer Teufel von einer Ecke in die andere, grinsten und bleckten mit
den Zähnen. Das erzürnte den Hansl gar sehr. Gleich ließ
er das Wasser ein, daß die Mühlsteine blitzschnell sich drehten
und die Funken auseinanderflogen. Er packte dann einen Teufel nach dem
anderen und mahlte sie alle samt dem Getreide herunter, so daß das
Mehl ganz schwarz wurde, und kehrte dann nach vollbrachtem Geschäft
zum Bauern zurück. Jetzt hatte Hansl vor Nachstellungen Ruhe; er
mußte den ganzen Winter hindurch Steine brechen, zu anderen Dingen
wagte der Bauer ihn nicht zu verwenden.
Im Frühjahr fragte er den Knecht, ob er gehe, wenn er ihm den ganzen
Jahreslohn zahle.
"O ja", sagte Hansl. Der Bauer bezahlte ihn voller Freude aus,
und Hansl suchte und fand bald bei einem anderen Bauern ein Unterkommen.
Dieser hatte aber schon von Hansls Stücklein gehört und glaubte
deshalb die Sache recht klug anstellen zu müssen. Er nahm ihn deshalb
unter der Bedingung als Knecht an, daß er alle Arbeiten verrichten
müsse, die man ihm auftrage; werde er deshalb zornig, so solle er
die Ohren und den Jahreslohn dazu verlieren; werde aber der Bauer zornig,
so bekomme Hansl des Bauern Ohren, den doppelten Lohn, und das Jahr sei
dann zu Ende. Hansl ging gern auf den Vorschlag ein.
In den ersten Tagen ging alles gut vonstatten; der Knecht arbeitete recht
brav, nur der Bäuerin war er bei Tisch gar zu schnell. Die zweite
Woche mußte er mit den anderen Dienstboten auf die Wiesen hinaus,
um zu mähen. Hier arbeitete er soviel wie zehn andere. Als aber die
Zeit des Essens heranrückte, sagte der Bauer zu ihm: "Wir gehen
jetzt essen, aber du sei unterdessen nicht faul, sondern arbeite fein
brav."
Hansl machte über diesen Befehl große Augen.
"Bist du etwa zornig?" fragte der Bauer mit einem spöttischen
Lächeln.
"Gar nicht", meinte Hansl und arbeitete unverdrossen weiter.
Als aber der Bauer mit den Seinen beim Mittagessen saß, eilte Hansl
in den Stall, holte zwei der schönsten Kühe heraus, trieb sie
zum Metzger und verkaufte ihm die Kühe; von dem Erlös ließ
er sich beim Wirt was Ordentliches geben und eilte dann wohlgestärkt
wieder zur Arbeit aufs Feld zurück.
"Ich habe zwei Kühe verkauft", sagte er zum Bauern, "und
mir was zu essen geben lassen. Hier hast du das übrige Geld."
Und er reichte dem Bauern noch etliche Gulden hin. Diesem stieg das Blut
in den Kopf, und er griff nach einem Rechen.
"Bist du etwa zornig?" fragte Hans.
"Gar nicht", antwortete der Bauer, indem er den Rechen fallen
ließ und schnell nach den Ohren griff.
Einmal verkaufte Hansl die Pferde, ein anderes Mal wieder die Schweine,
und so trieb er es fort, bis alle Ställe leer standen. Der Bauer
jammerte zwar, durfte aber nicht zornig werden. Da fiel ihm ein Mittel
ein. Er hatte bestimmt, daß das Jahr zu Ende sei, wenn der Kuckuck
schreie. Er befahl deshalb seiner Frau, sich mit Teig zu bestreichen,
sich dann in einem Federbett herumzuwälzen und auf einen Baum zu
steigen, wo sie das Geschrei des Kuckucks nachahmen sollte.
Als Hansl den Kuckuck hörte, lief er in die Kammer, lud seine Flinte
und schoß den Kuckuck vom Baum. Wie dies der Bauer sah, da schlug
er die Hände über dem Kopf zusammen und schrie und fluchte,
daß man's im ganzen Haus hörte.
"Bist du etwa zornig?" fragte Hansl.
"Wer sollte nicht zornig werden", antwortete der Bauer, "zuerst
verkaufst du mir mein Vieh, und jetzt schießt du mir gar das Weib
tot."
"Jetzt gib mir nur alsogleich die Ohren und den doppelten Lohn her",
meinte Hansl, "und das Jahr ist zu Ende."
Der Bauer bat und flehte, ihm doch die Ohren zu lassen, er wolle sie teuer
bezahlen. Alles umsonst. Hansl schnitt ihm ohne Umstände die Ohren
ab, nahm den doppelten Lohn und ging dann singend und pfeifend seines
Wegs, um anderswo ein Plätzchen finden.
(mündlich aus dem Zillertal)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854