Die Heugabel
Es kam einmal ein Bauer zu seinem Nachbarn und bat ihn recht inständig,
er möchte ihm doch helfen beim Heueinführen. Denn er habe so
gewaltig viel auf den Wiesen liegen, daß seine Leute allein nicht
imstande seien, alles heute noch einzubringen. Der Nachbar aber machte
dicke Ohren und schlug ihm die Bitte ab.
Nachmittags, als der Bauer sein Heu zu einem Haufen zusammengerecht hatte,
kam ein Wirbelwind und trug das Heu bei Putz und Stengel hinweg. Der Bauer
hatte das Nachsehen und wurde so ärgerlich, daß er die Heugabel
in die Höhe warf und schrie: "Weil der Teufel das Heu fortgetragen
hat, soll er die Gabel auch dazunehmen." Und richtig, wie die Gabel
aus seinen Händen fuhr, flog sie lustig auf und davon.
Bald darauf erkrankte der Nachbar. Er mußte lange Zeit das Bett
hüten, und die Leute sagten schon herum, daß er in keiner guten
Haut stecke. Der Bauer hörte freilich auch von der Krankheit seines
Nachbarn, er ging aber gar nie hin, um ihn zu besuchen. Die Krankheit
wurde alleweil ärger, und alle Leute, die den Kranken sahen, schüttelten
den Kopf und meinten: "Holla, mit dir ist's Matthäus am letzten."
Wie der Bauer in einem fort hörte, daß es mit dem Nachbarn
so schlimm stehe, ging er in sich und dachte: Kopf machen ist nie fein
g'wesen. Er verzieh ihm, ging ihn besuchen und fragte mit dem freundlichsten
Gesicht um allerlei: "Wie geht's? Wo tut's weh? Was sogn denn die
Dokter? Konn dir gor koaner helfen?"
Auf diese Frage schaute ihn der Kranke wehmütig an und sagte: "Na,
Dokter konn mar koaner helfen, ober du konnst mar helfen." Während
er das sagte, schob er das Federbett beiseite und zeigte dem Nachbarn
eine Heugabel, die in seiner Hüfte stak. Der Nachbar erschrak zuerst,
zog aber die Heugabel schleunigst heraus, und der Kranke konnte bald aufstehen
und seine Arbeit tun wie zuvor.
(mündlich bei Meran)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854