Noch ein Märchen von der Krönlnatter
Es lebte vor langer Zeit, als du, mein Kind, noch den Pfeiffaltern nachflogst,
eine kreuzbrave Magd, die bei einem Bauern im Dienst war. Sie tat treu
und redlich ihre Pflicht, sah auf die Sache und das Vieh ihres Dienstherrn
und arbeitete von frühmorgens bis spätabends.
Im Haus, in dem sie Ehehalt war, wohnte auch eine Krönlnatter. Das
scheckige Würmchen, das ein hellglänzendes Krönlein auf
dem Kopf trug, hielt sich in einer Mauerritze des Stalles auf und ließ
sich selten sehen. Die meisten Hausbewohner wußten nur deshalb,
daß eine Krönlnatter im Hause war, weil sie ihr wunderschönes
Singen oft hörten. Sooft aber die brave Magd in den Stall kam, um
die Kühe zu melken, fand sich auch die Krönlnatter ein. Es war
ein herziges Tierlein und hatte glänzende schwarze Äuglein,
mit denen es die Magd gar bittend und klug ansah. Da dachte sich dann
die Magd, ich weiß schon, was du möchtest, und goß ein
wenig Milch in ein irdenes Schüsselchen und gab sie dem Tierchen
zu trinken. Da hättest du die Natter sehen sollen, wie sie ihr Zünglein
spielen ließ und die weiße, warme Milch gierig einschlürfte.
Wenn sie dabei ihr Köpfchen wendete, schimmerte das Krönlein
wie eitel Gold, daß einem das Sehen hätte vergehen mögen.
War das Schüsselein geleert, nickte die Natter mit ihrem Köpfchen,
daß das Krönlein hellauf funkelte wie der Tau im Sonnenschein,
und schlüpfte in die Ritze der Mauer.
Die Magd hatte ihre Freude an dem Tierchen und gab ihm morgens und abends
Milch, und dies geschah um so lieber, als sie sah, daß die Natter
Glück und Segen brachte. Denn seitdem diese Milch bekam, waren die
Kühe immer gesund und gaben viel mehr Milch als früher. So ging
es lange Zeit, und nichts kam dazwischen.
Als eines Abends die Natter wieder im Stall war und ihr Schlücklein
Milch trank, kam der Bauer, der ein rechter Geizhals war, dazu und sah
es. Gleich fing er an zu schelten und zu toben wie ein wildes Tier, nannte
die brave Magd eine Schelmin und machte ihr die bittersten Vorwürfe.
Das arme Mädchen schluchzte und weinte, daß eine Träne
um die andere über ihre roten Wangen floß, und beteuerte ihre
Unschuld.
Der Bauer ließ sich in seinem Fluchen und Schelten nicht irremachen
und schrie: "Ich kann eine Magd, die so wirtschaftet und die Milch
den Würmern gibt, nicht brauchen. Nimm deine Sachen und pack dich
aus meinem Haus!"
Die arme Magd mochte sagen und tun, was sie wollte, er bestand auf seinem
Wort. Da ging sie weinend in ihre Kammer, schnürte ihre Kleider zusammen
und ging aus dem Haus. Bevor sie aber für immer Abschied vom Hof
nahm, ging sie in den Stall, um noch einmal die lieben Kühe zu sehen.
Wie sie dort stand und es sie schwer ankam, von den lieben Tieren, die
ihre Stimme kannten und so oft ihre Hand geleckt hatten, zu scheiden,
kroch plötzlich die Krönlnatter daher, machte vor der Magd halt
und schüttelte das funkelnde Krönlein vor sie hin. Im Nu war
dann das Tierlein durch die Stalltür hinaus und wurde nie wieder
gesehen. Die Magd nahm das schöne Krönlein, das ihr die Natter
aus Dankbarkeit gebracht hatte, zu sich und kehrte zu ihrer Mutter, die
eine Häuslerin war, zurück.
Und wie ist es dem braven Mädchen weiter ergangen? Ganz gut, denn
das Krönlein macht jeden, in dessen Besitz es ist, steinreich. Der
Bauer hatte aber, seitdem die Krönlnatter aus dem Haus war, kein
Glück mehr. Mit seiner Wirtschaft ging es bergab, und er kam später
von Haus und Hof. So wurden seine Unbarmherzigkeit und sein Geiz bitter
bestraft.
(mündlich aus Absam)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854