Sauerkraut und Totengebeine
Vor langer Zeit lebte ein armes Bäuerlein, das drei Töchter
hatte. Die beiden älteren waren schön und gescheit, die jüngste
konnte eben nicht mit ihrer Schönheit prahlen, und auch am Verstand
schien es ihr zu fehlen. Die zwei stolzen Dinger taten über die Maßen
groß und nobel und mußten immer schöne Kleider haben,
um den reichsten Bauerntöchtern nicht nachzustehen. Wenn sie dann
so geputzt waren, lachten sie ihre jüngste Schwester aus und taten
nicht anders, als ob sie ihr Stubenmädchen wäre.
Dieser Staat, den sie führten, kostete aber viel Geld, und das arme
Bäuerlein sah, daß er bei dieser Wirtschaft trotz allem Sichabschinden
auf die Gant kommen müßte. Deshalb sagte er eines Tages zu
seinen Töchtern: "Meine Kinder, die Sache wird mir bald zu arg,
wenn ich alle drei länger kleiden und nähren soll. Ihr seid
so alt, daß ihr euch selbst das Brot verdienen könnt, und deshalb
mein' ich, soll eine von euch in einen Dienst gehen."
Damit war die älteste sogleich einverstanden, denn sie glaubte, sie
werde wegen ihrer Schönheit in der Stadt ein gutes Unterkommen finden.
Sie packte ihre Kleider und Habseligkeiten zusammen und verließ
voll schöner Hoffnungen die väterliche Hütte. Sie schlug
den nächstbesten Weg ein und kam bald in einen großen, stockfinsteren
Wald, der sich viele Stunden ausdehnte. Als sie einige Stunden im Forst
fortgegangen war, fühlte sie Müdigkeit in ihren Gliedern und
Hunger in ihrem Magen. Sie setzte sich deshalb auf einen Stein, der am
Weg lag, und zog ein Stück Brot aus ihrem Kittelsack, um sich zu
laben. Kaum hatte sie aber zu essen angefangen, als ein schneeweißer
Pudel kam und sich ihr gegenübersetzte. Es war ein abgemagertes Tier,
und der Hunger sah aus seinen Augen. Er winselte und bat um ein Stücklein
Brot, aber die Hartherzige dachte sich, Selbstessen macht fett, und kümmerte
sich um den Pudel blutwenig.
Nachdem sie sich gestärkt hatte und weitergehen wollte, fing der
Hund plötzlich an zu reden und sprach: "Wenn du weiter in den
Wald kommst, wird dir ein graues Männlein begegnen, das dich fragen
wird, ob du nicht bei ihm in Dienst treten möchtest. Du wirst bei
ihm zwar nur Sauerkraut und Totengebeine zu essen bekommen, ich rate dir
aber, sein Angebot gleich anzunehmen."
Nach diesen Worten war der Pudel verschwunden. Darüber verwunderte
sich das Mädchen nicht wenig, noch mehr aber über das graue
Männlein und seine sonderbare Kost. Sie sah gar wohl ein, daß
es hier nicht mit gewöhnlichen Dingen zugehe, und beschloß
den Dienst anzunehmen. Gefaßten Mutes ging sie weiter durch den
Wald und wünschte sich nach Hause zurück.
Sie war noch nicht weit gegangen, da begegnete ihr wirklich ein kleines
Männlein, dem ein eisgrauer Bart bis auf die Füße reichte,
und fragte sie, ob sie bei ihm in Dienst treten wolle; zu essen bekäme
sie aber nur Sauerkraut und Totengebeine. Das Mädchen sagte ohne
Bedenken zu und folgte dem graubärtigen Männlein. Dieses führte
sie lange, lange Zeit fort über Stock und Stein, bergauf, bergab,
bis sich endlich ein großes, altes Schloß zeigte. Er führte
die Magd hinein, die gar müde und schläfrig war und alsbald
ihr Bett aufsuchte.
Am anderen Tag zeigte ihr das Männlein die Arbeiten, die sie besorgen
sollte, gab ihr Sauerkraut und Totengebein und verließ dann mit
dem weißen Pudel, den sie am vorigen Tag im Wald gesehen hatte,
das alte Schloß.
Sie ging an ihre Arbeit und hatte sie bald verrichtet, denn viel hatte
sie nicht zu tun. Dann setzte sie sich zu Tisch und aß das Sauerkraut;
die Totenknochen verbarg sie aber im Tischtuch. Nachdem sie ihren Hunger
gestillt, vertrieb sie sich durch allerlei Dinge die Zeit, bis der Abend
ins Tal sank. Dann kam wieder das graue Männlein mit dem weißen
Pudel nach Hause und fragte sogleich, ob sie die Totengebeine gegessen
habe. Sie besann sich nicht lange und sagte gleich ja.
Da wandte sich das Männlein an seinen Pudel und sprach: "Weißer,
mach deine Künste!"
Alsogleich machte sich der weiße Pudel auf und schnupperte und witterte
lange Zeit in der Stube umher, bis er endlich die Tischlade herauszog,
die Totenknochen darin fand und sie dem grauen Männlein vor die Füße
legte. Wie das Zwerglein die Gebeine sah, wurde es ganz wütend, lief
in die Küche, holte sich dort ein Beil und schlug damit die Magd
tot.
Als nach vielen Wochen die älteste Tochter noch nie zu den Ihrigen
zurückgekommen war und sie keine Kunde von ihr erhalten hatten, dachte
die zweite Tochter des Bäuerleins bei sich: Meine älteste Schwester
muß ein rechtes Glück gehabt haben, daß sie uns so ganz
und gar vergißt. Dabei stieg ihr der Gedanke auf, auch in die Stadt
zu gehen und dort das Glück zu versuchen.
Gedacht, getan. Sie packte ihre Kleider und Habseligkeiten zusammen, nahm
einen Laib Brot und ein Stück Käse mit und machte sich, nachdem
sie von ihrem Vater Abschied genommen hatte, auf den Weg in die Stadt.
Als sie eine Strecke gegangen war, kam sie zum großen, stockfinsteren
Wald, in dem sie sich auch, als sie müde und hungrig war, niederließ
und sich mit Brot und Käse laben wollte. Da kam auch wieder der weiße
Pudel und setzte sich ihr gegenüber und blickte so lüstern auf
das Brot, als ob er ihr jeden Bissen wegschnappen wollte. Das Mädchen
hatte aber ein steinhartes Herz, aß sich selbst satt und warf dem
bettelnden Hund kein Bröslein vor. Dann stand sie auf und wollte
ihres Weges weitergehen.
Da fing der weiße Hund plötzlich zu reden an und sprach: "Wenn
du tiefer in den Forst kommst, wird dir ein graues Männlein begegnen.
Das wird dich fragen, ob du nicht in seine Dienste treten möchtest.
Du wirst bei ihm zwar nur Sauerkraut und Totengebeine zu essen bekommen,
und die Kost wird schmal sein. Ich rate dir aber, sein Angebot gleich
anzunehmen."
Nach diesen Worten war der Pudel verschwunden. Das Mädchen konnte
sich über den redenden Pudel und seinen Rat nicht wenig wundern,
verlor jedoch nicht den Mut und dachte sich, da kann ich vielleicht mein
Glück finden. Guter Dinge wanderte sie nun weiter in den dichten,
dunklen Forst hinein und hing ihren Gedanken nach. Als sie ein gutes Stück
Weges gegangen war, stand plötzlich das kleine Männlein mit
dem langen, eisgrauen Bart vor ihr und fragte sie, ob sie nicht bei ihm
als Magd dienen wollte; zu essen bekomme sie aber nur Totengebeine und
Sauerkraut. Sie ließ sich jedoch dadurch nicht abschrecken und nahm
das Angebot an. Das graue Männlein führte sie nun über
Stock und Stein, bergauf, bergab durch den finsteren Wald, bis sie endlich
in der schauerlichsten Wildnis das alte Schloß sahen. In dieses
gingen das Männlein und die Magd, die gar müde und schläfrig
war und alsbald ihr Bett aufsuchte.
Am anderen Tag wies das Männlein der neuen Magd ihre Arbeit an, zeigte
ihr dies und das und gab ihr die besagte Kost. Dann verließ er mit
dem weißen Pudel das Schloß und verschwand im wilden Wald.
Die Magd besorgte ihre Arbeiten, und als sie beendet waren, setzte sie
sich auf die Küchenbank, nahm das Tellerchen mit der ekelhaften Kost,
suchte die Totengebeine heraus und verbarg sie unter der Asche. Dann nahm
sie das Kraut und stillte damit ihren Hunger. Später schaute sie
sich im Schloß um und schaffte dies und das, bis es Abend wurde.
Nun kam auch das graue Männlein mit seinem weißen Pudel heim
und fragte alsbald, ob sie Kraut und Totengebeine gegessen habe. Sie bejahte
ohne Zaudern seine Frage.
Da wandte sich das Männlein an seinen Pudel und sprach: "Weißer,
mach deine Künste!"
Sogleich sprang der Pudel auf und schnupperte und stöberte in allen
Ecken und Enden der Küche, bis er schließlich zum Aschenhaufen
kam und darin die gesuchten Knochen fand. Wie das Zwerglein die Gebeine
sah, schäumte es vor Wut, griff nach dem Beil und köpfte damit
die lügnerische Magd.
Indessen war auch das arme Bäuerlein gestorben, und das verschuldete
Anwesen fiel den Gläubigern anheim. Da blieb der jüngsten Tochter
auch keine Wahl, und sie mußte ihr Brot in der weiten Welt suchen.
Sie schnürte deshalb ihr Bündel und machte sich auf den nächstbesten
Weg, der nach ihrer Meinung in die Stadt führte.
Da kam auch sie in den großen Wald, und als sie eine lange Strecke
darin gegangen war, fühlte sie Müdigkeit an ihren Gliedern und
Leere in ihrem Magen. Sie setzte sich deshalb auf einen alten, bemoosten
Baumstamm, um ein wenig auszurasten und sich zu stärken. Als sie
so dasaß und ihr hartes Brot kaute, kam wieder der weiße Pudel
und setzte sich ihr gegenüber. Da schaute er so unverwandt und lüstern
nach dem Stücklein Brot in ihrer Hand, daß sie gleich wußte,
was er haben wollte. Sie hatte nun das größte Mitleid mit ihm
und gab ihm all ihr Brot, obwohl sie erst wenig davon gegessen hatte.
Da aß der Pudel, daß es eine Freude war, und hernach fing
er zu reden an und sprach: "Dir wird im Wald ein graues Männlein
begegnen und dich fragen, ob du etwa bei ihm dienen möchtest. Zu
essen wirst du bei ihm jedoch nichts bekommen als Sauerkraut und Totengebeine.
Willige aber nur in den Antrag, denn die Knochen kannst du ja in den Garten
hinunterwerfen, dort werde ich sie schon verscharren."
Nach dieser Rede war der Pudel aus ihren Augen verschwunden. Obwohl ihr
die Geschichte mit diesem Tier nicht geheuer vorkam, fürchtete sie
sich doch nicht, nahm ihr Bündel wieder auf und setzte ihren Weg
fort. Als sie wieder ein Stück Weges zurückgelegt hatte, begegnete
ihr das Männlein mit dem eisgrauen Bart und fragte sie, ob sie in
seinen Dienst treten möchte. Sie hätte nicht viel zu arbeiten,
aber zu essen werde sie nur Sauerkraut samt Totengebeinen bekommen. Das
Mädchen dachte an die Worte des Pudels, sagte gleich zu und folgte
dem kleinen Zwerg, der sie lange, lange durch den dichten Wald führte,
bis sie endlich zum alten, großen Schloß kamen. Nun war das
Mädchen aber müde und matt, daß ihm die Augen zufielen,
und suchte bald sein Bettchen auf, wo es ruhig und sanft bis zum folgenden
Morgen schlief.
Als die Sonne hinter den Bergen emporstieg, stand auch die neue Magd auf
und ging an ihre Arbeit. Das Männchen wies ihr das Tagwerk an, gab
ihr die ekelhafte Kost und verließ dann mit dem weißen Pudel
das Schloß. Das Mädchen tat nun gewissenhaft die Arbeit, und
als es diese beendet hatte, nahm es sein Schüsselchen, stillte mit
dem Sauerkraut seinen Hunger und warf die Gebeine in den Garten hinab,
wo sie der Pudel vergrub.
Als die Sonne untergegangen war und es Nacht wurde, kam das graue Männlein
nach Hause und fragte das Mädchen, ob es Kraut und Knöchlein
gegessen habe. Da sagte die Magd ja, obwohl ihr dabei das Herz pochte.
Das Männlein wandte sich nun an den Pudel und sprach: "Weißer,
mach deine Künste!" Doch dieser machte keine, und die vergrabenen
Gebeine kamen nicht an das Licht.
Darob schien das Männlein froh und munter zu sein, und es sprach
zur Magd: "Danke Gott und steh heute um elf Uhr auf und bete bis
zwölf Uhr, dann wird dir nichts geschehen. Fürchte dich nur
nicht vor dem Löwen und den Untieren, die dich zu verschlingen drohen
werden. Wenn du ausharrst, sollst du glücklich werden."
Die Magd folgte den Worten des Zwergleins genau. Sie ging nach vollendeter
Arbeit in ihre Kammer, warf sich auf die Knie und betete mit größter
Andacht. Kaum begann es aber auf dem Schloßturm elf Uhr zu schlagen,
entstand ein so schreckliches Lärmen und Poltern im Schloß,
daß alle Mauern zitterten. Türen flogen auf und zu, und es
schien, als ob die wilde Fahrt los sei. Bald flog auch die Kammertür
auf, und schreckenerregende Ungetüme kamen hereingesprungen und drohten
unter ohrenzerreißendem Geheul, das Mädchen zu verschlingen.
Doch dieses ließ sich im Beten nicht irremachen, sondern flehte
nur noch inbrünstiger zu Gott, bis es zwölf Uhr schlug. Da wurde
es aber wieder mäuschenstill, und die müde Magd legte sich ins
Bett und schlief bis der Morgen graute.
Wie war sie aber überrascht, als sie morgens ihre Augen öffnete,
denn sie befand sich nicht in ihrer kleinen, düsteren Kammer, sondern
in einem großen, herrlichen Zimmer. Sie ruhte in einem seidenen
Bett anstatt auf ihrem elenden Strohsack, und die Wände waren mit
den herrlichsten Spiegeln geschmückt. Sie konnte sich an all dieser
Pracht und Herrlichkeit nicht satt sehen, stand auf und wollte sich ankleiden.
Da waren die schönsten Kleider für sie bereitet, und ihr früheres
Gewändlein war nicht mehr zu finden.
Nachdem sie sich angekleidet hatte, trat ein wunderschöner Jüngling
in das Zimmer und dankte ihr innigst für seine und seines Vaters
Rettung. Denn sie beide waren verzaubert gewesen, er in den weißen
Pudel und sein Vater in das alte Männlein, und waren nun wieder erlöst.
Zum Dank für die Rettung machte er das brave Mädchen zu seiner
Frau und hielt noch am selben Tag seine Hochzeit. Da schmetterten Pauken
und Trompeten, und die Gläser klangen, als ob Kirchweih wäre.
Sie und der Ritter blieben auch ihr Lebtag so glücklich wie am Hochzeitstag
und erreichten ein hohes Alter.
(mündlich aus dem Zillertal)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854