Die verwunschene Prinzessin
Es ist schon lange her, da hatte einmal ein mächtiger Kaiser eine
Heerschau angeordnet. Die Soldaten mußten von nah und fern zusammenkommen
und sich auf einem weiten Feld in zwei Reihen aufstellen. Da ritt nun
der Kaiser mit seiner goldenen Krone auf dem Haupt mitten durch und besah
sich die Krieger.
Unter anderen bemerkte er einen sehr alten Veteranen, dessen Haare schon
schneeweiß waren. Der Kaiser hielt bei ihm an und fragte ihn: "Wie
lange hast du schon gedient?"
"Vierzig Jahre, Herr Kaiser", erwiderte ehrerbietig der Alte.
"Gut", sprach der Kaiser, "du hast deine Zeit nun voll
und sollst der Mühen nun enthoben sein. Stelle dich morgen um neun
Uhr im Audienzsaal."
Nach diesen Worten ritt der Kaiser wieder weiter und erblickte einen wunderschönen,
noch blutjungen Mann, der mutig dreinschaute. Er hielt bei ihm an und
fragte ihn: "Wie viele Dienstjahre zählst du?"
Der Jüngling trat ehrerbietig vor und antwortete etwas verlegen:
"Nur zwei, Eure Majestät. Ich habe aber doch auch den letzten
Krieg mitgemacht, und mein Mut hat mich nicht verlassen."
Der Kaiser fand Wohlgefallen an dem schönen, mutigen Burschen und
sprach: "Du scheinst ein braver Mann zu sein. Stelle auch du dich
morgen um neun Uhr im Audienzsaal."
Der Kaiser ritt wiederum weiter und bemerkte bald einen greisen Veteranen,
den er fragte: "Wie lange dienst du bei der Armee?"
Der alte Krieger antwortete: "Achtundvierzig Jahre, Herr Kaiser.
Ich habe in dieser Zeit viele Kriege mitgemacht und manche Wunde davongetragen.
So hat mir in der letzten Schlacht so ein Türkenhund eine Kugel ins
Bein gejagt, die mir noch oft Schmerzen macht. Aber der Kerl mußte
es teuer bezahlen, denn er wurde gleich darauf von unseren Kugeln zu Boden
gestreckt."
Dem Kaiser gefiel der alte Mann, der noch so feurig erzählte.
"Stelle dich morgen um neun Uhr im Audienzsaal", sprach der
Fürst, ritt weiter und musterte die übrigen Soldaten.
Am anderen Tag putzten sich die drei beorderten Soldaten aufs beste heraus
und stellten sich Schlag neun Uhr im kaiserlichen Audienzsaal. Sie wurden
vom Kaiser sehr freundlich empfangen, und dann sprach er zu ihnen: "Ihr
habt euch wacker gehalten und verdient einen Lohn. Weil ihr eure Pflicht
so treu erfüllt habt, enthebe ich euch der ferneren Kriegspflicht
und will euch würdig beschenken. Zwischen zwei Dingen könnt
ihr wählen, entweder könnt ihr hier bleiben und hier eure lebenslängliche
Versorgung haben, oder ihr könnt weiterziehen, und wenn ihr dies
tun wollt, so werde ich jedem von euch eintausend Gulden zum Abschied
geben."
Als die drei diesen Vorschlag gehört hatten, wurde ihnen die Wahl
nicht sauer. Einstimmig baten sie um die tausend Gulden und wollten in
die Weite wandern. Der Kaiser ließ, als er dies sah, sogleich den
Reichskassier holen und befahl ihm, jedem der drei Soldaten eintausend
Gulden auf der Stelle auszubezahlen.
Die drei empfingen sogleich ihr Geld und zogen, nachdem sie dem Kaiser
mit gerührtem Herzen gedankt hatten, miteinander fort.
Sie waren noch nicht weit gewandert, als sie in einen großen, dunklen
Wald kamen, durch den eine Straße führte. Ehe sie noch das
Ende des Waldes erreichten, überfiel sie die Nacht, und sie mußten
unter den Bäumen ihr Lager halten. Am folgenden Tag kamen sie endlich
ins Freie, und eine wunderschöne Gegend lag vor ihnen ausgebreitet.
Am Ausgang des Waldes prangte auf einem Wiesenhügel ein herrliches
Schloß, an dessen Fuß ein freundliches Dorf sich hinzog.
"Seht da das Schloß! Gehen wir doch hinauf, um es anzusehen",
sprach da der junge Soldat.
"Was werden wir da droben tun?" entgegneten die zwei alten.
"Wir haben Hunger und Durst und gehen lieber ins Dorf und suchen
dort eine Schenke."
Gesagt, getan! Sie lenkten ihre Schritte dem Dorf zu, während der
junge Bursche den Weg zum Schloß nahm. Bald stand er vor dem großen
Tor, das weit geöffnet war. Als er sah, daß kein Wächter
da war und daß sich keine lebende Seele im Hof zeigte, trat er mutig
ein und stieg die marmorne Treppe hinauf. Er kam dann auf einen Gang,
aber auch da zeigte sich kein lebendes Wesen. Endlich gelangte er in einen
herrlichen Saal, in dem eine große Tafel stand, auf der die kostbarsten
Speisen dufteten. In der Mitte war aber ein großer leerer Teller.
Er sah sich noch einmal um, ob sich nirgends jemand zeige, und da er sich
allein glaubte, setzte er sich nieder und aß von all den Gerichten
nach Herzenslust, bis er satt war. Als er noch dasaß und sich gütlich
tat, klopfte es plötzlich an die Tür.
"Herein!" rief der Bursche aus Leibeskräften.
Da öffnete sich die Tür, und eine Schlange kroch herein und
auf den Tisch hinauf, wo sie im leeren Teller Platz nahm und sich zusammenrollte.
Obwohl dem jungen Soldaten Furcht fremd war, gruselte es ihn doch ein
wenig, als er mit der unheimlichen Schlange ganz allein im weiten Saal
war. Sein Staunen und seine Furcht wurden noch größer, als
die Schlange plötzlich zu reden begann.
"Fürchte dich nicht", sprach sie, "und tue, was ich
dir sage. Wenn du meinen Worten folgst, kannst du sehr glücklich
werden. Ich bin eine verwunschene Prinzessin. Du kannst mich erlösen,
wenn du nur willst, und dann bin ich mit allen meinen Schätzen dein.
Sag mir also, ob du alles, woran meine Erlösung geknüpft ist,
tun willst."
Da besann sich der Soldat nicht lange und sprach: "Potz Hagel und
Donnerwetter! Ich habe dem Tod so oft in den Rachen geschaut, darum werden
mich diese Dinge auch nicht erschrecken!"
Da sprach die Schlange: "Gut, so höre deine Aufgaben. Es werden
drei Nächte nacheinander um die zwölfte Stunde viele, viele
Soldaten mit ihrem König ins Schloß kommen. Sie werden dich
an allen Ecken und Enden des Schlosses suchen, bis sie dich finden. Dann
wirst du vor den König geführt werden, der alles mögliche
aufbieten wird, um von dir eine Antwort herauszukriegen. Du mußt
dich aber nicht bewegen lassen, auch nur ein Wort zu sprechen. Fasse nur
Mut und bleibe trotz aller Versprechungen und Drohungen stumm wie ein
Fisch; denn wenn du nur eine Silbe sprichst, sind wir beide verloren.
Du wirst mißhandelt und gemartert werden, laß dir aber dadurch
kein Wort entlocken. Mögen sie dich auch noch so quälen, am
folgenden Morgen wirst du dich besser befinden als früher, und alle
diese Martern werden dir zum besten gereichen. In der dritten Nacht werden
sie dir sogar den Kopf abschlagen, aber am folgenden Morgen wirst du frisch
und gesund sein. Wenn du im Schweigen ausharrst, wirst du mich erlösen
und uns beide glücklich machen."
Mit diesen Worten war die Schlange verschwunden. Der Soldat dachte über
die wunderbare Geschichte nach und faßte, da er sein Herz nicht
in den Hosen hatte, sogleich den Entschluß, die Schlange zu erlösen.
Er blieb deshalb mutig am Tisch sitzen, aß und trank, und als ihm
die Zeit zu lang wurde, zündete er ein Licht an und las in einem
Buch, das auf einem Tisch lag. So trieb er's, bis es zwölf Uhr schlug.
Da hörte er plötzlich im Hof einen Lärm, daß fast
das Schloß erbebte. Rossegetrampel, Waffengeklirr und Geschrei hallten
bis zum Saal herauf. Bald kam der Lärm näher, die Tür flog
auf, und sieben Soldaten stürzten in den Saal und auf den Jüngling
los. Sie nahmen ihn in ihre Mitte und führten ihn in ein Zimmer,
wo ihr König auf dem Thron saß.
Als dieser den hereingeführten Soldaten sah, rollte er zornig die
Augen und fragte ihn: "Elender Wicht, was tust du hier, und warum
störst du den Frieden des Schlosses?"
Der junge Soldat verlor seinen Mut nicht und blieb stumm wie ein Stein.
Der König fragte zum zweiten und zum dritten Mal, und sein Gesicht
rötete sich immer mehr vor Grimm. Der junge Soldat aber ließ
sich nicht schrecken und verlor keine Silbe. Da kam der König fast
außer sich vor Wut, befahl, eine Bank zu holen und den halsstarrigen
Burschen zu prügeln. Es geschah, und doch, wie auch die Hiebe prasselten,
der junge Soldat war und blieb stumm. Da schlug es ein Uhr, und der König
zog mit seinen Kriegern ab.
Der Soldat blieb aber auf der Bank liegen und schlummerte bald ein. Als
er spät am Morgen erwachte, war er frischer und wohlgemuter als je,
und ihm kam alles, was er in der Nacht gesehen und gehört hatte,
nur wie ein Traum vor. Er besichtigte sich nun ein wenig das Schloß,
und dann ging er in den Speisesaal, denn seine Magenuhr zeigte schon auf
Mittag. Er fand den Tisch wieder herrlich bestellt, setzte sich nieder
und aß nach Herzenslust. Wie er dasaß, klopfte es wieder an
die Tür, und auf das "Herein!" des Soldaten kam die Schlange,
kroch wieder auf den Tisch und legte sich in den leeren Teller.
Doch diesmal hatte sie schon einen schönen Mädchenkopf, der
übrige Leib aber war der einer Schlange. Sie lächelte dem Soldaten
freundlich zu und sprach: "Du hast dich brav gehalten und die erste
Nacht glücklich überstanden. Fahre nur so fort und rede keine
Silbe. Folgst du mir, werden wir beide glücklich werden."
Der Soldat versprach ihren Rat zu befolgen, und gleich war die Schlange
wieder verschwunden. Er trieb es nun wieder wie am ersten Tag, trank und
aß und griff dann aus Langeweile zu dem Buch. Darin las er, bis
es zwölf Uhr schlug. Da lärmte es wieder im Schloßhof
wie in der ersten Nacht, und Soldaten kamen wieder in den Saal und holten
den jungen Eindringling. Dann wurde er wieder vor den zornigen König
geführt und befragt, was er hier im Schloß tue.
Er antwortete aber keine Silbe, und darob ergrimmte der König so
sehr, daß er ihn von den Soldaten aufs ärgste mißhandeln
und peinigen ließ. Der junge Soldat blieb aber bei seinem Vorsatz,
sprach keine Silbe, und wie es ein Uhr schlug, zog der König mit
seinen Soldaten ab. Der Bursche legte sich wieder auf eine Bank, schlief
süß und gut, bis er am späten Morgen frisch und munter
erwachte.
Er vertrieb sich die kurze Zeit des Vormittags mit allerlei Dingen, und
dann ging er wieder in den Speisesaal, um dort sein Mittagsmahl zu nehmen.
Er fand wieder den Tisch herrlich gedeckt, und die köstlichsten Speisen
dampften darauf. Er setzte sich nieder und tafelte, daß es eine
Lust war. Da klopfte es wieder an die Tür, und als er "Herein!"
gesagt hatte, kam die Schlange, aber jetzt war sie schon halb Jungfrau.
Sie begab sich wieder auf den Tisch und nahm im leeren Teller ihren Platz.
Sie war diesmal gar freundlich, lächelte dem Soldaten zu und sprach:
"Bisher hast du meine Worte treulich befolgt, und ich danke dir dafür.
Harre aber mutig aus und bestehe auch die künftige Nacht. Diese wird
die letzte und gefährlichste Probezeit sein. Wirst du dieses Mal
auch kein Wort reden, dann ist dein Glück gemacht."
Er versprach es ihr, und dann verschwand sie wie die zwei vorigen Male.
Der Soldat saß nun wieder allein da, ließ es sich wohlschmecken
und wartete auf die letzte Nacht. Es fing ihn gar nicht an zu gruseln,
als diese näher rückte, denn er dachte, die wird mich auch nicht
umbringen. Als es wieder Mitternacht war, fing es an zu trommeln und zu
pfeifen, und der König mit seinen Leuten kam. Sieben Mann kamen wieder
und holten den jungen Soldaten und führten ihn vor den König.
Dieser versuchte wieder auf jede Weise, von ihm ein Wort herauszubringen,
aber umsonst. Als alle Versuche sich nutzlos erwiesen, erzürnte er
so heftig, daß er befahl, ihm den Kopf abzuschlagen. Der Soldat
vertraute auf die Worte der Schlange und ließ dies ruhig geschehen.
Als der Schlag geführt wurde, fiel der Soldat in einen so tiefen
Schlaf, daß er erst spät am Morgen wieder erwachte. Da war
das erste, daß er nach dem Kopf griff, um zu erfahren, ob er ihn
noch habe.
Als er fühlte, daß der Kopf noch auf dem alten Fleck saß,
war er herzlich froh und stand auf. Wie staunte er aber, als ganze Scharen
von Bedienten kamen, ihm Wäsche und neue Kleider brachten und ihn
ihren Herrn nannten. Nachdem er angekleidet war, geleiteten sie ihn zum
Frühstück, und dann führten sie ihn durch das Schloß
und zeigten ihm all die Pracht und Herrlichkeiten. Da kamen sie unter
anderem auch an einer Tür vorbei, die zierlich gearbeitet war. Der
junge Soldat wollte hineingehen, um das Gemach zu sehen. Da antworteten
die Bedienten, ihre Herrin hätte dies verboten. Der Soldat ließ
sich aber von seinem Wunsch nicht abbringen und sprach endlich: "Jetzt
bin ich euer Herr, und ich befehle euch, die Tür zu öffnen und
mich hineinzuführen."
Da öffneten sie die Tür und führten ihn ins Zimmer. Darin
war die Jungfrau, die ihn mit zornigen Blicken vom Kopf bis zu den Füßen
maß. Dann sprach sie: "Dein Stolz hat dir geschadet. Weil du
so eigensinnig und herrisch bist, kann ich noch nicht deine Braut werden.
Deines Stolzes wegen muß ich dich aus dem Schloß entlassen.
In drei Wochen werde ich dir aber kundtun, ob ich deine Frau werde oder
nicht."
Mit diesen Worten gab sie ihm einen Beutel und entließ ihn.
Dieser Beutel hatte aber eine gar absonderliche Eigenschaft, denn sooft
man hineinfuhr, konnte man eine Handvoll Dukaten herausholen. Der Soldat
war darüber froher Dinge, verließ das Schloß und ging
ins Dorf hinunter. Dort fand er in einer Kneipe seine zwei Kameraden,
die auf ihn gewartet hatten und es sich kreuzwohl sein ließen. Als
sie ihren Kameraden wiedersahen, hatten sie große Freude, und alle
drei fingen nun um die Wette zu zechen an. Da erzählten sie sich
auch dies und das, und der jüngste machte aus seinen Erlebnissen
auch kein Geheimnis und prahlte mit seinem Glück.
Seine zwei Genossen wurden darüber neidisch und verabredeten sich,
als sie zu Bett gegangen und allein waren, wie sie ihn um sein Glück
bringen konnten. Sie beschlossen, den Wirt zu überreden, dem jüngsten
an jenem Tag, an dem die Jungfrau kommen sollte, einen Schlaftrunk zu
geben. Am folgenden Tag bestachen sie den Wirt, und dieser erklärte
sich zur Tat bereit.
Als die drei Wochen vergangen waren und die Prinzessin kommen sollte,
mischte der Wirt einen so starken Schlaftrunk in den Wein, daß der
jüngste Soldat sogleich betäubt zu Boden fiel und in einen tiefen
Schlaf sank.
Er war noch nicht lange in diesem Zustand dagelegen, als eine prächtige
Kutsche, von zwei Schimmeln gezogen, daherfuhr. Darin saß die Jungfrau,
ganz weiß gekleidet, und ein weißer Schleier bedeckte ihr
Haupt. Sie fragte nach dem jüngsten Soldaten. Als sie aber hörte,
daß er schlafe, sprach sie, sie werde morgen wiederkommen, und fuhr
von dannen.
Am Abend tat der Wirt wieder einen Schlaftrunk in den Wein des jungen
Soldaten, und dieser betäubte sich wieder ganz und gar. Als er noch
schlief, kam wieder eine herrliche Kutsche dahergefahren. Sie war rot,
und zwei stolze braune Pferde zogen sie. Die Prinzessin, die im Wagen
saß, war auch ganz rot gekleidet. Als sie hörte, daß
der Soldat noch schlafe, gab sie den Bescheid, sie werde morgen wiederkommen,
und fuhr von dannen.
Gegen Abend erwachte der Soldat wieder und war, als er sah, daß
er die Ankunft der Jungfrau verschlafen habe, sehr betrübt. Aus Verdruß
darüber fing er wieder an zu trinken und war bald wieder vom Schlaftrunk
betäubt. Bald schnarchte er im tiefsten Schlaf und schlief bis spät
in den folgenden Tag hinein.
Zur bestimmten Stunde kam wieder eine schwarze Kutsche, zwei feurige Rappen
waren davorgespannt. Im Wagen saß die Jungfrau, auch sie war schwarz
gekleidet. Als sie hörte, daß ihr Erlöser wieder schlafe,
ging sie in sein Zimmer, zog sein Schwert aus der Scheide, schnitt sich
damit in den kleinen Finger und schrieb mit ihrem Blut folgende Worte
auf das Schwert: "Wenn du morgen in Residia bist, heirate ich dich."
Dann ging sie leise fort - denn wecken durfte sie ihn nicht - und fuhr
von dannen.
Als er aus seinem schweren Schlaf erwachte und die Worte las, wurde er
sehr bestürzt und traurig, denn er wußte gar gut, daß
dies nur durch ein Wunder geschehen könnte. Er beschloß aber
dennoch sich aufzumachen und gegen Residia zu wandern. Wie er so traurig
seinen Weg ging, kam er in einen dunklen Wald. Er war noch nicht lange
gegangen, als ein Bär auf ihn zutrottete und ihn fragte, warum er
so traurig sei. Da faßte sich der Soldat ein Herz, und schilderte
dem Bären seine traurige Lage haargenau.
Als er seine Erzählung beendet hatte, sprach der Bär: "Wenn
es nur das ist, so ist dir leicht zu helfen. Setz dich nur auf meinen
Rücken, halte dich fest und dann will ich dich noch heute nach Residia
bringen."
Der Soldat folgte dem Rat, setzte sich auf den Bären, und dieser
flog brummend über Berg und Tal, daß sie in drei Stunden in
Residia waren, obwohl diese Stadt von dem Dorf zehntausend Meilen entfernt
war.
Da sprach der Bär: "Siehst du, diese Stadt ist Residia!"
Der Soldat sprang nun vom Rücken des Bären herunter, bedankte
sich und wollte in die Stadt gehen. Der Bär stellte sich aber vor
ihn und bat, er möchte ihm mit seinem Schwert den Kopf abschlagen.
Der Soldat war durch diese Bitte ganz überrascht und rief aus: "Gott
bewahre mich davor, daß ich meinen größten Wohltäter
morde!"
Allein der Bär hörte nicht auf zu bitten und sprach: "Die
größte Wohltat, die du mir erweisen kannst, tust du mir, wenn
du mir den Kopf abhaust."
Als der Soldat sah, daß der Bär nicht aufhörte zu bitten,
zog er sein Schwert und hieb ihm den Kopf ab. Dann machte er sich auf
die Füße und ging auf die Stadt zu. Wie er aber noch einmal
umblickte, sah er an der Stelle, wo er den Bären geköpft hatte,
einen schönen, weißen Jüngling stehen, und dieser rief
ihm seinen Dank zu.
Der Soldat eilte in die Stadt und begegnete dort einigen Soldaten. Er
fragte sie: "Wo ist das beste Wirtshaus?"
Die Soldaten glaubten, der Bursche sei nicht bei Sinnen oder er wolle
sie foppen, spotteten ihn deshalb aus und sagten: "Du Narr, was willst
du blutarmer Schlucker in einem Wirtshaus? Du hast ja keinen roten Pfennig,
geschweige so viel, um ins vornehmste Gasthaus zu gehen."
Er sagte kein Wort darauf, sondern griff in seinen Zaubersäckel und
schenkte jedem eine Handvoll Dukaten. Da machten sie große Augen,
wurden freundlich und führten ihn zum besten Gasthaus. Er ging hinein,
setzte sich nieder und ließ sich zu essen und trinken geben. Wie
er so dasaß, fragte er den Wirt, was es Neues gebe.
Dieser antwortete: "Das Neueste ist dies, daß gestern die Königstochter,
die vor vierzig Jahren spurlos verschwunden ist, wiedergekommen ist. Morgen
wird sie sich auch einen Bräutigam wählen und deshalb auf dem
Altan erscheinen und jene mustern, die darunter vorbeifahren. Aus diesen
wird sie sich den Bräutigam suchen."
Als dies der Soldat gehört hatte, bestellte er sich bei dem Wirt
eine weiße Kutsche, mit zwei Schimmeln bespannt, und schaffte sich
für den folgenden Tag ein weißes Kleid an.
Am folgenden Morgen fuhr er zur bestimmten Stunde, als die Prinzessin
auf dem Altan stand, in der weißen Kutsche am Ende der übrigen
Freier langsam vorbei. Die Prinzessin wählte aber diesmal noch keinen
Bräutigam, sondern ließ durch einen Herold kundtun, die Bewerber
um ihre Hand sollten am folgenden Tag noch einmal vorüberfahren,
und dann werde sie wählen.
Da ging der Soldat guten Mutes in das Gasthaus zurück, aß und
trank und bestellte sich für den morgigen Tag eine rote Kutsche,
die mit zwei braunen Pferden bespannt sein sollte. Zugleich ließ
er sich ein rotes Kleid machen.
Am folgenden Tag bestieg er ganz rot gekleidet die rote, mit zwei braunen
Pferden bespannte Kutsche und fuhr zur festgesetzten Stunde vor die Königsburg.
Dort schloß er sich dem Zug der Werber an und fuhr wieder zuletzt
und sehr langsam unter dem Altan vorbei.
Die Prinzessin wählte aber auch diesmal noch keinen Bräutigam,
sondern ließ durch einen Herold kundtun, die Freier sollten am folgenden
Tag noch einmal kommen, und dann wolle sie wählen.
Da kehrte der Soldat wieder ins Gasthaus zurück und trank und aß
frohen Mutes. Dann bestellte er sich für den morgigen Tag eine schwarze
Kutsche mit schwarzem Gespann und ließ sich ein schwarzes Kleid
machen.
Als am folgenden Tag die von der Prinzessin festgesetzte Stunde anrückte,
bestieg er, schwarz gekleidet, den schwarzen Wagen und fuhr auf den Burgplatz.
Dort schloß er sich dem Zug der Freier an und fuhr zuletzt und langsam
unter dem Altan vorbei. Als die Königstochter ihn diesmal in schwarzer
Kleidung und in der schwarzen Kutsche sah, war es ihr klar, daß
dieser Freier ihr Erlöser sein müsse. Sie ließ ihn deshalb
zu sich holen, und als sie in ihm ihren Retter wirklich erkannte, fiel
sie ihm um den Hals und hieß ihn ihren Bräutigam.
Nun gab es eine große Freude im Schloß, und noch am gleichen
Tag wurde die Hochzeit gefeiert. Da hing ihnen der Himmel voller Geigen,
und das Brautpaar blieb auch in Zukunft glücklich wie am ersten Tag.
(mündlich aus Sellrain)
Quelle: Ignaz und Joseph Zingerle, Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland, Regensburg 1854