DIE WALZWERKWALDZWERGE
Eine Sage aus dem Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts
Können sie sich denken, dass, wenn eine Geschichte von Waldzwergen und Walzwerken handelt, es leicht zu Irritationen beim Leser kommen kann, da es im Wortlaut nicht ganz einfach ist, zu unterscheiden, ob es sich um Waldzwerge oder Walzwerke handelt. Gott sei Dank ist es aber relativ selten, dass eine Geschichte von Waldzwergen und Walzwerken erzählt, und sich eine Handlung über ein etwas längeres Essay erstreckt. Aber es kommt vor, zumal in der Welt der Waldzwerge zwangsläufig Walzwerke vorkommen müssen, denn Waldzwerge sind emsige Walzwerkwaldzwerge, welche nicht nur den Wald niederwalzen, sondern alles was sich ihnen in den Weg stellt. Sie wollen alles einwalzen, darüber fahren, und zu Geld walzen.
Vor vielen Jahrhunderten hatte alles ganz einfach damit begonnen, dass die Waldzwerge in ihrem Waldzwergenwald sesshaft wurden und Walzwerke bauten, um dort zu walzen und zu werken und ihr Waldwalzwerkzwergenbrot für ihre Waldzwergensippe zu verdienen. Es war nicht viel, was man als Waldzwerg in so einem Walzwerk verdiente, aber das wenige hatten die Waldzwerge dafür sicher. Den Besitzern der Walzwerke war der Ertrag jedoch mit der Zeit zu wenig, und sie schickten Segelschiffe aus, um größere Wälder zu suchen, fremde Ländereien zu erforschen, neue Walderzlager zu entdecken und billige Walzwerkwaldzwerge als Sklaven zu fangen.
Unablässig fuhren Schiffe der Waldzwerge in die neuen Länder, um sie auszubeuten und zu plündern, um die Rohstoffe in ihrem Wald in den hiefür errichteten Walzwerken zu veredeln, und diese dann wieder um vieles teurer in den so genannten Kolonien zu verkaufen. Die weißen reichen Waldzwerge in der alten Welt wurden daher immer reicher mit ihren Walzwerken, sie schwammen bald in Waldzwergenwalzwerkgold. Die reichen Waldzwerge beuteten die armen Waldzwerge gnadenlos aus und so entstanden mit der Zeit zwei Kulturen. Die kleinere, aber mächtigere Waldzwergenwalzwerkwelt, jene die Geld und Reichtum besaß, und der weitaus größere Teil der Waldzwergenwelt, die, der armen Waldzwerge, welche einerseits ausgebeutet wurden, bis ihr Wald verwüstet und platt gewalzt war, und jenen unzähligen Waldzwergen, die Tag und Nacht in den Walzwerken für ein paar schäbige Walzwerktaler die Dreckarbeit verrichten durften, und wenn einer aufbegehrte wurde er sogleich in den Wald verjagt.
Jeder Waldzwerg glaubt auch an den Schöpfer, der die Welt, den Wald und das gesamte Sein erschaffen hatte. Dieser Glaube spendet unzähligen Waldzwergen Trost und Liebe, und sie sprechen zum Gott, wenn sie Angst haben oder krank sind. Weil aber die Waldzwerge unterschiedliche Sprachen sprechen, so hat Gott in ihren Sprachen jeweils einen anderen Namen und eine andere Gestalt, obwohl es nur einen Schöpfer der Welt gibt, und diese Macht sich jedem zeigt, der bereit ist, ihn zu schauen. Gott zeigt sich in Form von Blumen und Pflanzen, in Form der gesamten Schöpfung, in Gestalt der Tiere des Waldes, der Lüfte und der Meere, aber er zeigt sich auch in Gestalt der Hungernden und Durstenden, Verfolgten und Verachteten, Leidenden, Geschundenen, Verirrten und Blinden, Schwachen und Kranken. Doch viele Waldzwerge haben, was ihre Religion anbelangt, auch einen Zwergenverstand, denn jeder Waldzwerg glaubt im Grunde, nur sein Gott ist der richtige und einzig wahre Heilsbringer, nur sein Gott kann die Seele aller Waldzwerge vor dem Nichts retten, und so will einer den anderen bekehren, missionieren, seinen Gott aberkennen, und viele Waldzwerge wurden gezwungen, und werden bis heute noch immer genötigt, ihrem Gott abzuschwören, um den vermeintlich richtigen anzubeten. Ein Waldzwerg wollte und will dem anderen seine Lebensweise aufzwingen und das konnte auf Dauer nicht gut gehen.
Es wurden durch die Jahrhunderte bis heute unzählige Waldzwergenwalzwerkkriege geführt, gegen Arm und Reich, Macht gegen Ohnmacht, gläubig gegen vermeintlich ungläubig. Das gegenseitige Abschlachten nahm kein Ende. Krieg folgte auf Krieg, Reaktion folgt auf Aktion.
In vielen Waldzwergwalzwerken wurden Bomben und Bombenbomber gebaut, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Und wieder waren es die reichen Waldzwerge, welche mit ihren Waffen Handel trieben, die armen Waldzwerge bedrohten und unterdrückten, ihnen zugleich Waffen verkauften, um sich verteidigen zu können.
Die Dörfer der reichen Waldzwerge wuchsen zu riesigen Städten heran. Sie wurden immer aufgeblähter, die Häuser immer höher, und die Reichen immer reicher, Die weniger begüterten Waldzwerge wurden immer ärmer und täglich verhungern und verdursten Abertausende. Die Walzwerke der reichen Waldzwerge wurden auch immer größer, weil ein Waldzwerg dem anderen sein Walzwerk aufkaufte, bis nur mehr einige riesige Waldzwergwalzwerkimperien übrig blieben. Diese hatten so viel Geld und Macht, dass sie zwei hohe Türme bis in den Himmel hinauf bauten, in dem sie ihren unermesslichen Reichtum verwalteten. Nein, teilen war ihre Sache nicht, obwohl Millionen arme Waldzwerge von dem Geld mit Brot gesättigt hätten werden können. So kam, was kommen musste. Die Väter und Großväter der Armen hatten vergeblich um Hilfe für ihre Walzwerke gebettelt, jedoch ihre Söhne wollten nicht mehr betteln. Sie sagen sich, wenn die reichen Waldzwerge nicht mit uns teilen wollen, so werden wir ihre Walzwerke zerstören.
Sie produzierten in Unmengen ein Zauberpulver, welches viele reiche Waldzwerge berauschte und danach süchtig machte. Die Reichen bezahlten Unsummen, um an dieses Elend bringende Zauberpulver zu kommen, obwohl es verboten war, solches zu besitzen. Aber auch die armen Waldzwerge waren ebenso verbrecherisch. Sie stillten mit dem Zauberpulvergeld nicht den Hunger in ihrer Welt, sondern kauften dafür Kanonen, Gewehre, Bomber und Bomben. Sie unterdrückten ihre Frauen und zwangen sie, sich ihr Gesicht zu verschleiern, gaben ihnen kein Wahlrecht, verweigerten ihnen, ihren Talenten entsprechend, Schulbildung, lehrten ihre Söhne zu morden und schickten sie in den Krieg, um für ihren Gott als Selbstmörder zu sterben.
Eines Tages kamen Flugzeuge, voll besetzt mit ahnungslosen und unschuldigen Waldzwergen, und flogen als lebende Bomben in die Zentralen der Waldzwergenwalzwerke und brachten Tod, Terror, Angst und Qual. Gesteuert wurden diese Flugzeuge von armen Waldzwergen, welche von ihren Führern vorher durch Hass geblendet wurden. In ihrem blinden fanatisierten Glauben erkannten sie ihr Verbrechen nicht mehr, sondern glaubten, dass sie, wie ihnen von ihren selbsternannten Waldzwergenführern gepredigt wurde, wenn sie im Kampf stürben, unverzüglich ins Paradies kämen, wo sie sich, von schönen Jungfrauen umgeben, im ewigen Leben befänden. Zwei vollbesetzte Flugzeuge flogen auch in die Geldtürme, die einst als Zeichen von Reichtum und Macht bis gen Himmel gebaut wurden. Die Türme stürzten wie Sandburgen in sich zusammen und es gab tausende Tote und Vermisste. Es brach eine Welt zusammen. Nichts war mehr so, wie es bisher war, und die Kluft zwischen Arm und Reich wurde immer tiefer.
Erbitterte Kämpfe waren die Folge, Millionen unschuldige Waldzwerge mussten fliehen, verhungerten oder starben an Seuchen. Indessen gab es weitere Drohungen, die gesamte Waldzwergenwelt zu vergiften. Diplomatische Reisen von einflussreichen Waldzwerginnen und Waldzwergen begann um sich zu greifen, um einen Waldzwergenkrieg zu verhindern. Es müssen doch wieder Walzwerke gebaut werden, forderten sie, das Leben muss weiter gehen, oder soll die gesamte Waldzwergenwelt vergehen? So kam es, dass ein Waldzwerg ein anderes Walzwerk besuchte, oder dass wieder, unter dichten Sicherheitsvorkehrungen, Walzwerke in der Umgebung der Waldzwerge errichtet wurden. Allerdings man stand in der Not doch wieder etwas mehr zusammen und ein Umdenken begann. Überdies, wenn Waldzwerge ein Walzwerk bauen, handelt es sich demzufolge wieder um ein Waldzwergwalzwerk. Wenn dieser dann auch noch darin arbeitet dann ist es offensichtlich ein Walzwerkwaldzwerg, da kann er noch so viel Geld haben, hüben wie drüben, und vielleicht sogar die Türme wieder aufbauen, er ist und bleibt ein kleiner, garstiger Waldzwerg in seinem Walzwerk.
Quelle: E-Mail Zusendung von joschi
anzinger, 19. November 2001, der seinen Beitrag sieht, als "eine
sozialstudie in märchenform, welche die ereignisse des 11. september
2001 als grundthema hat."
joschi anzinger
nebenerwerbsliterat. jahrgang 1958; geboren und aufgewachsen in altlichtenberg,
bei linz. seit 1979 am pöstlingberg lebend, angestellter der linz
AG, verheiratet, zwei kinder. mitglied der IG autorinnen autoren, der
österreichischen dialekt autorinnen autoren und des stelzhammerbundes.
veröffentlichungen:
1996: "dialekt dialog" 1000 senku gedichte, gemeinsam mit hans
kumpfmüller. ÖDA wien. 2000: "ghead und xeng" gedichte
in oö. dialekt. resistenz verlag. beiträge in anthologien: "die
rampe", "zwischenbilanz", "mostalgie", "meridiane",
"sand & salz". in literaturzeitschriften: "morgenschdean",
"literatur aus österreich", sowie satiren und kurzgeschichten
in tageszeitungen. zahlreiche lesungen. autodidakt.