Die Dünnholzbohrer
Ein Fabelmärchen von Joschi Anzinger

Es war einmal, vor langer Zeit, ein Junge. Er lebte weit hinter den sieben Tälern auf einem Bauernhof. Der Hof lag wie ein Vogelnest eingebettet zwischen Hügeln und Wäldern, das Anwesen war umgeben von Wiesen und Äckern und großmächtigen alten Birnbäumen, in deren Ästen und Zweigen am Tag der Wind sein Lied sang und in dessen Kronen in der Nacht der Mond hauste.

Der Bauernhof war das Elternhaus des Jungen. Er wuchs dort mit seinen Tauben und Kaninchen und seines Vaters Schafen, Rindern, Pferden und seiner Mutter Hühner und Gänse als sechstes Kind von sieben Geschwistern auf. Er stand oft draußen vor dem Hof in der Wiese im Gras, im Hüfthohen, und schaute lange ins Tal hinab, wo sich eine Stadt auftat. Die Häuser am Grund des Tales sahen so schön hingewürfelt aus, dass der Junge sich oft vorstellte, ein Riese hätte einfach nur mit Bauklötzen gespielt.

Hinter der Stadt, ganz ganz weit hinter den Häusern und Straßen, dort, wo wieder schier unendlich viele Wiesen und Wälder begannen und kleine Dörfer und Felder zu erkennen waren, war an klaren Tagen oft ein Gebirge zu sehen. Die Spitzen und Gipfel leuchteten dann schneeweiß. Auch im Sommer. Die Felsen in der Ferne sahen aus, wie die Gebeine eines toten Drachen, der schon vor langer Zeit gestorben war, und dessen Skelettpanzer noch immer dort lag. Die riesigen Felsknochen schimmerten bedrohlich und der Junge mochte das nicht, wenn bei Föhn das Gebirge zu sehen war. Bei Sonnenuntergang im Herbst glühte der Himmel oft rötlich und die Wolken leuchteten gleich brennenden Fackeln. Besonders im Frühjahr, wenn der Föhn heulte und die Luft am Reinsten war vom ganzen Jahr, da schien das knochige Gebirge ganz nahe zu sein. Zum Angreifen schienen dann die Felsengebeine nahe. Und da fürchtete der Junge diese himmelhohen Berge, bis ihm einmal sein Vater erklärte, dass das nur Steine und Felsen seien und keine Drachenknochen. Trotzdem blieb der Junge bei Föhn lieber in der Stube und spielte mit seinen Katzen und wartete, bis das Wetter umschlug und sich das Gebirge wieder zum Horizont zurückzog, wo es hingehörte.


*

Nun. Wenn der Junge so vor seinem Elternhaus stand und in die Ferne sah, dachte er oft darüber nach, wie es sein würde, wenn er einmal ein junger Mann sei. Wenn er dann sein Elternhaus verlassen müsse, weil es ihn in die Welt hinauszöge. Er dachte oft darüber nach, was dann mit ihm einmal sein würde, wenn ihm der Hof und die Tiere, Vaters Wiesen und Äcker, der Bach und der Wald zu klein werden würden? Wie das alles einmal werden sollte, das wollte der Junge so gerne wissen.

Und weil ihm das niemand sagen konnte, wem er auch frug, so stellte er sich einfach selber vor, wie seine Zukunft einmal ausschauen sollte. Wohin er einmal gehen könnte. Wo er sich, sein Leben zu verleben, einmal vorstellen könnte.

Und das war auch gut so, dass er sich das dachte, der Junge. Denn jeder sollte selber wissen, welche Ziele im Leben für einem wichtig sind. Jeder Mensch muss für sich selber herausfinden, was für ihn gut sein könnte. Was ihm gefiele.

Was am besten zu ihm passt, was ihn anzieht und fasziniert, und auch was ihn abstößt. Wie könnte ein Mensch das am besten erfahren, als beim selber über sich und seine Zukunft Nachdenken.


Jedes Mal wenn der Junge vor dem Gehöft seiner Eltern stand, oder auf einem alten Apfelbaum saß und sich sein Leben vorstellte, sah er von weitem eine Kirche mit zwei Türmen auf einem Berg stehen. Und immer wenn der Junge zu dem Berg hinsah, überkam ihn ein sehnlicher Wunsch. Er spürte in seiner kleinen Brust eine Sehnsucht, die wie ein Feuer in ihm brannte. Nämlich, wenn er erwachsen sein würde und Weib und Kinder hätte, dass er sich dort auf dem Berg einmal sein Haus bauen möchte. Er träumte davon, dass er dort auf dem Berg, auf dem so stolz und erhaben eine Kirche mit zwei Türmen stand, einmal leben möchte.
Denn dort, auf diesem Berg, so dachte sich der Junge, müsste es wunderschön sein. Dort möchte er einmal leben. Darum betete er auch manchmal, heimlich, am Abend, vor dem Einschlafen, zum Allmächtigen, dass sich sein Wunsch auch erfüllen möge.

*

Eines Nachts erschien dem Jungen im Traum eine gute Fee und sprach zu ihm:
"Bist du bereit, zu versprechen, dass du niemals jemandem sein Eigentum streitig machen wirst?"
Der Junge dachte nicht lange nach und antwortete:
"Ja, ich schwöre es!"

"Zweitens", erwiderte die Fee, "bist du gewillt, ein friedvoller Mensch zu werden, der immer danach trachtet, ehrlich zu sein, und die Wahrheit verteidigt?"
"Freilich!" rief der Junge im Traum, "ich will es zumindest versuchen!"

"Drittens"; sagte die gute Fee, "bist du willens, selbst wenn du einmal erwachsen bist, jedes Kind, egal ob von armen oder reichen Eltern, zu lieben, als würden es dein eigenes sein?"
"Ja!" rief der Junge, "dies ist eine leichte Aufgabe. Das will ich gerne tun!"

"Dann ist es gut" antwortete die Fee zufrieden. "Wenn du in deinem Leben fleißig und tüchtig bist, wenn du an dich glaubst und in deinen Worten und Taten das hältst, was du soeben versprochen hast, so wird dein Traum einmal wahr werden, und noch mehr. Du wirst das, was du dir wünscht, erreichen, obwohl du keine Reichtümer hast. Merke dir, wenn du dein Schicksal gerecht behandelst, so bleibt es dir treu".

*

Die Zeit verging. Die Jahre zogen ins Land und aus dem Jungen wurden ein kräftiger Mann, den es danach dünkte, sich eine rechte Braut zu suchen. Eines Tages war auf dem Berg ein Fest und der junge Mann war auch dort.

Er dachte eigentlich nicht mehr an seine Versprechen, die er als Knabe einmal einer Fee gegeben hatte. Nicht dass er sie vergessen, oder dass er ihnen abgeschworen hätte. Nein, sie waren ihm im Moment nur nicht bewusst, sondern irgendwo in seinem Gedächtnis versunken, vergraben, doch sie waren da.

Daher zog es ihn wie selbstverständlich auf den Berg mit der Kirche hin. Er war ganz ohne Absicht zu dem Fest gekommen. Er wollte einfach lustig sein und sich unterhalten. Er wollte andere Menschen kennenlernen, lachen, tanzen und einen Abend lang seinen Spaß haben.

Wie es das Geschick so wollte, begegnete er auf dem Tanz einem Mädchen, in das er sich sogleich verliebte, weil es ein natürliches Wesen hatte und ungezwungen lachen konnte. Es war nicht so albern und oberflächlich wie die meisten Gören ihres Alters.

Er nahm sich ein Herz, forderte sie zum Tanz auf, und frug sie auch gleich, ob sie ihn heiraten möchte, damit nicht am Ende ein anderer Mann käme, der ihm das Mädchen noch wegzuschnappen vermochte. Das Mädchen lachte und sprach:

"Ja! ich möchte dich auch zum Mann haben, denn du gefällst mir, aber wir müssen noch meine Mutter fragen und diese ist sehr streng".

Jedoch die Mutter erlaubte es, dass sie heirateten, und alsbald wurde Hochzeit gefeiert,. Ein Jahr nach der Hochzeit sagte die Mutter zum vermählten Mann ihrer Tochter: "Weil du mich nie gefragt hast, was meine Tochter von mir als Mitgift bekäme, sondern weil du sie so genommen hast wie sie ist, schenke ich euch ein kleines Stück Land unweit der Kirche auf dem Berg, wo ihr euch ein kleines Häuschen bauen könnt!" Der junge Mann und seine Liebste umarmten sich und die Mutter dazu, und hüpften und tanzten vor Freude, als sie das hörten.

*

Abermals vergingen Jahre. Der Mann baute ein schmuckes Haus für sein Weib und seine Kinder und die Leute im Dorf auf dem Berg bei der Kirche sagten, dass es ein schönes Haus geworden wäre. Er baute es aus Freude darüber, dass sein Wunsch, einmal auf dem Berg zu wohnen, in Erfüllung gegangen war. Sie hatten inzwischen auch zwei Kinder bekommen, die sie über alles liebten. Und nicht nur das.

Der Mann, und auch die Frau, liebten alle Kinder des Dorfes und diese durften immer zu ihnen kommen und lachen und spielen und Späße machen. Und weil sie Kinder so liebten, machten sie in ihrem Gartenzaun ein kleines Tor, damit die Kinder des Dorfes zu ihnen in den Garten-, und ihre Kinder hinaus ins Dorf laufen konnten.

Dann bauten sie ihren Kindern noch einen Teich wo sie im Sommer nach Herzenslust baden und im Winter auch Eis laufen konnten. Wenn ihre zwei Kinder im Wasser herumplantschten, standen draußen vorm Zaun die Kinder vom Dorf und der Mann und die Frau brachten es nicht übers Herz, die fremden Kinder abzuweisen und zu sagen:

Geht weg! Verschwindet! Macht euch selber einen Teich, dann habt ihr auch einen. Das ist unser Teich, hier habt ihr nichts zu suchen!"

Dann bekamen es der Mann und die Frau aber doch mit der Angst zu tun, denn Kinder erkennen manchmal die Gefahren noch nicht so gut, und was geschähe, wenn ein fermdes Kind im Garten herumliefe, und den Teich fiele, während die Frau und der Mann einmal außer Haus seien.

Darum wollten sie das Gartentor schon abreißen und das Loch mit Zaun schließen. Aber dann dachten sich die Frau und der Mann, das wollen wir auch wieder nicht. Das sähe nämlich aus, als dürfe niemand mehr zu uns in den Garten kommen. Die Kinder der anderen sind bei uns immer gerne gesehen. Sie sind doch die Freunde unserer Kinder. Wir können sie nicht einfach aussperren. Das brachten die Frau und der Mann einfach nicht über ihr Herz.

Deshalb beschlossen sie das Tor über Nacht, oder wenn sie einmal fort fuhren, zu versperren. Denn, so sagten sie sich, sollten wir nicht zu Hause sein und ein fremdes Kind spiele in ihrem Garten und fiele womöglich in den Teich? Was wäre dann?

Das wäre nicht auszudenken. Im Dorf waren auch Kinder die noch nicht schwimmen konnten und wenn eines zum Teich ginge, unbeaufsichtigt, könnte leicht ein Unglück geschehen.

*

Im Dorf auf dem Berg wohnten viele Menschen die dem Mann und der Frau gut gesinnt waren. Jedoch nicht jeder konnte sie leiden. Einige wenige sahen neidisch auf sie, und versuchten die Frau und den Mann, wo sie nur konnten, bei den anderen Dorfbewohnern schlecht zu machen. Nämlich, es lebten in dem Dorf auch Hexen, die von Zeit zu Zeit aus Langeweile, aus Eifersucht und Überheblichkeit ihr Unwesen trieben.

Einerseits tyrannisierten die Hexen die Dorfbewohner untereinander, dass es ein Jammer war, dem zuzusehen. Andererseits richteten sich ihre Feindseligkeiten auch gegen den Mann und die Frau, die mit ihren zwei Kindern, dem Hund und der Katze in ihrem Haus unmittelbar neben dem Dorf wohnten. Und das kam so.

*

Als der Mann und die Frau ihren Teich bauten, frugen sie nicht die Hexen, die alle gerne Prinzessinnen gewesen wären, um Erlaubnis, ob sie ein kleines Stückchen Grund von der Zufahrtsstraße des Dorfes benützen dürften, um das Material für den Bau des Teiches auf ihr Grundstück zu schaffen. Die Straße gehörte den Dorfbewohnern und auch den Hexen.

Der Mann wusste das, und baute darum für sein Haus auch eine eigene Zufahrtsstraße. Aber für den Bau des Teiches erschien ihm die Straße der Hexen gelegener, und er wollte ja nur während der Bauzeit etwa einen Quadratmeter davon benützen.

Der Mann frug die Dorfbewohner und keiner hatte etwas dagegen. Nur die Hexen frug er nicht, weil er dachte sich, da kommt sicher nichts Gescheites dabei heraus.

Er bat jedoch alle Gnome des Dorfes, und diese erlaubten es ihm auch. Zur Sicherheit frug er auch noch den Stromgeist Wosik und den Poltergeist Edermühl, die auch in dem Dorf lebten. Und weil das gute Geister waren erlaubten sie es ebenfalls. Der Mann dachte sich, das müsste genügen.

Der Poltergeist Edermühl sagte nur:

"Hör zu, Mann! Das wäre ja noch schöner, wenn du das nicht dürftest. Unsere Straße ist ja keine Seife, sie wird doch dadurch nicht weniger, wenn du ein paar mal darüberfährst. Freilich darfst du ein kleines Fleckchen von ihr benützen. Und sollten sich die Hexen erbost zeigen, so schick sie zu mir, ich werde ihnen was vorpoltern!"

Gesagt, getan. Der Mann ging nach Hause, errichtete seinen Teich, war jeden Tag guter Dinge und dankte dem Himmel für so gute Freunde.

*

Die Hexen wurden daraufhin sehr böse und gerieten schier außer sich vor Wut. Sie hatten ja keine sinnvolle Arbeit und kein erstrebenswertes Ziel vor Augen, sondern sie saßen nur alle zu Hause, dachten sich immer wieder neue Gehässigkeiten gegen die Dorfbewohner aus und hofften, dass die Zeit schneller verränne.
In ihrem Zorn verzauberten die Hexen das ganze Dorf, sodass dessen Bewohner alle in Tiere verwandelt wurden, ohne dass diese es selber an ihrer Person merkten. Da gab es plötzlich einen Esel und einen falschen Hund. Einen Papagei, ein feiges Schwein, einen Vogel Strauß und eine Spinne. Somancher Mensch wurde auch in einen Ochsen, in eine Kuh, in eine Schlange, in einen Affen oder in einen augenlosen Wurm verzaubert, der rund um sich nichts mehr sah und hörte.

Der Papagei plapperte einfach nach was er aufschnappte. Mit offenem Schnabel flog er durch die Gegend und krächzte und rief. Alles was die Hexen ihm vorsagten plapperte er nach und trug es hinaus in Wald und Feld. Keiner konnte es mehr hören. Die Frau und der Mann hielten sich die Ohren zu. Es war schrecklich.
Einige der Dorfbewohner handelten rasch und konnten den Zauber aus eigener Kraft wieder aufheben, oder sie ließen sich vom Stromgeist Wosik oder vom Poltergeist Edermühl, als sie merkten was mit ihnen geschehen war, schnell wieder in ihre menschliche Gestalt zurückverwandeln. Es genügte schon, sich auf die Seite der Frau und des Mannes zu stellen. Schon wurde der Zauberbann der Hexen gebrochen und derjenige wurde wieder ein Mensch.

*

Allerdings, am Anfang, als die Dorfbewohner frisch verzaubert waren und nicht mehr selbständig und eigenmächtig denken konnten, mussten sie sich von den Hexen für ihr schmutziges Spiel, welches sie gegen die Frau und dem Mann im Schilde führten, gebrauchen lassen.

Die Hexen wollten dem Mann und der Frau die Hölle heiß machen, weil sie nicht nach ihrer Pfeife tanzten. Weil sie vor ihnen keine Angst zeigten. Weil sie vor ihnen nicht untertänigst Buckelten. Weil sie sich nicht fügten. Weil sie nicht taten, was sie von ihnen verlangten. Aber die Zauberkräfte wirkten bei der Frau und ihrem Mann nicht. Sie wirkten überhaupt nicht. Auch wenn die Hexen noch so oft hexten:

"Das Gartentor muss weg, das Gartentor muss weg".

Das Gartentor rührte sich nicht von der Stelle. Es harrte auf seinem Platz, wo es der Mann und die Frau aufgestellt hatten.

Der Papagei rief: "Das Tor muss weg, das Tor muss weg. Ebenso der feige Hund, der Esel der Ochse, der Affe und der blinde Wurm. Und der Vogel Strauß steckte seinen Kopf in die Erde.

Der falsche Hund kläffte:

"Das Gartentor muss weg! Das Gartentor muss weg! Der Mann und die Frau benützen durch das Tor unseren Grund für ihre Zwecke. Sie gehen auf unserer Dorfstraße spazieren. Ihre Kinder fahren bei uns mit den Fahrrädern. Das wollen wir nicht. Das wird mit der Zeit ein Gewohnheitsrecht! Die Straße gehört uns. Das ist unsere Straße. Das ist ganz alleine unsere Straße!" kläffte er tagelang.

*

Kaum riefen die Hexen etwas, stimmten der Papagei und der falsche Hund und das feige Schwein mit ein. Und der Vogel Strauß steckte seinen Kopf in die Erde.

Die Dorfbewohner, jene nun in Tiere verzaubert wurden, waren durch den Fluch der Hexen unfähig geworden, zu widersprechen - und sich gegen die Unterdrückung und Bevormundung durch sie zu wehren.

Doch der Stromgeist Wosik, bei dem die Zauberkräfte nicht wirkten, verteidigte den Mann und die Frau. Er schimpfte aufgeregt:

"Wie ihr mit der Frau und dem Mann umgeht, das gefällt mir nicht. Das gefällt mir nämlich wirklich überhaupt nicht!

"Was haben sie euch getan, dass ihr so grausam seid? Ich warne euch", sagte der Stromgeist verärgert, "was ihr da vorhabt, das geht in die falsche Richtung. Das tut man nicht! Das gehört sich nicht für anständige Menschen".

Wosik war ein guter Geist. Er sorgte immer dafür dass die Bewohner des Dorfes genug Strom in ihren Häusern hatten, und er war gerecht. Es schmerzte ihn in seiner Seele, wie einige Dorfbewohner, welche nun Tiere geworden waren, sich von den Hexen und vom falschen Hund für ihr abscheuliches Spiel benutzen ließen. Triebfeder des ganzen Übels war Neid und Langeweile. Wosik beschwor die anderen, indem er sagte:
"Unsere und euere Kinder spielen bei der Frau und dem Mann im Garten, seid ihr wirklich so blind dass ihr das nicht seht? Unsere Kinder können aus und ein gehen bei ihnen wie sie wollen, als wären es ihre eigenen Kinder, ist euch das noch nie aufgefallen? Unsere Kinder dürfen bei der Frau und beim Mann im Sommer im neuen Teich baden und im Winter Schlittschuhlaufen! Habt ihr das wirklich noch nicht bemerkt?"
Aber sein Vorbehalte gingen im allgemeinen Tumult unter und der Vogel Strauß steckte wie gewohnt seinen Kopf in die Erde. All das kam natürlich der Frau und dem Mann zu Ohren. Sie waren sehr sehr traurig über so wenig Toleranz. Aber sie waren auch in ihrem Herzen froh und dankbar, dass es im Dorf auch jemanden gab, der sie verteidigte.

Sie waren stolz, dass ihnen jemand beistand, in dieser Bedrängnis durch die Hexen. Sie waren so etwas wie glücklich, dass es jemand gab, der für sie eintrat und zu ihnen hielt. Denn, ganz alleine gegen die Bewohner eines ganzen Dorfes zu kämpfen, noch dazu waren die Dorfbewohner ja fast alle in Tiere verwandelt worden - das wäre wahrscheinlich über ihre Kräfte gegangen.

*

Eines Tages klagten der Mann und die Frau dem Poltergeist Edermühl, bei dem der Zauberfluch auch nicht wirkte, ihr Leid und er versprach ihnen zu helfen. Als wieder einmal eine Bürgerversammlung war und alle Bewohner des Dorfes versammelt waren, machte es einen lauten Donner, und Edermühl stand mit hochrotem Gesicht im Saal. Auch die Hexen waren anwesend. Edermühl war wie von Sinnen und schrie die Hexen an, dass der Verputz von den Gewölben rieselte:

"Was seid ihr nur für Memminge, ihr solltet euch schämen!"

Und vor Zorn kam ihm ein Donner aus, dass die Menge ganz bleich wurde und der falsche Hund sich duckte, als drohe Gefahr. Der Poltergeist wetterte und brüllte:

"Was wollt ihr sein?, achtbare Geschöpfe - vor denen jeder seinen Hut ziehen soll?, ...phaa...! das ich nicht lache!"

Rumps....! machte es wieder und es roch plötzlich nach Schwefel. Das feige Schwein wurde um den Rüssel ganz grün vor Angst, und wollte sich verdrücken.

"Hiergeblieben!" schrie Edermühl, "ich bin noch nicht fertig!"

"Auch der Vogel Strauß soll zuhören! Was ich euch jetzt zu sagen habe, ist im Interesse von uns allen....!"

Auch Wosik half zu Edermühl und redete auf die Menge ein:

"Wenn wer bei wem ein Haar in der Suppe sucht, der findet Eines, wenn er nur lange genug sucht. Nur weil einige von euch glauben, der Mann und die Frau seien am Ende vielleicht dümmer als ihr, und ihr etwas Besseres als sie, darum könnt ihr sie als euer Spielzeug für eure Langeweile benutzen, da täuscht ihr euch?
Da täuscht ihr euch gewaltig, das könnt ihr mir glauben!" Wosik konnte auch grantig werden. Er wetterte weiter:

"Und außerdem, ein ganzes Dorf gegen Zwei.

Das ist nun wirklich keine Heldentat, auf die ihr einmal stolz sein könntet. Alle gegen zwei, das ist keine Kunst! Wo bleibt euer Hausverstand?"

"Hört mir einmal alle gut zu," sagte Edermühl zu der jetzt schon sichtlich verunsicherten Menge. Schweigend saßen alle da. Auch der Papagei schwieg zum ersten mal in seinem Leben und sogar den Hexen hatte es die Sprache verschlagen. Das feige Schwein, der Affe und das andere noch verzauberte Getier und Gewürm wurde so klein, dass sie unter dem Teppich buchstäblich Fallschirm springen hätten können.

Dann ergriff Edermühl wieder das Wort, und rief in die schweigende Menge:

"Ich kenne ein Zaubermittel, wie der Fluch von euch Hexen ein für allemal beendet werden kann. Nur ihr werdet alle zeigen müssen, dass ihr in euren Herzen immer noch Menschen seid!"

Es wurde still und alle lauschten gespannt.

"Bald werden Fragebögen ausgeschickt"; sagte Edermühl, " auf welchen ihr zustimmen sollt, damit der Mann und die Frau ihr Gartentor abreißen müssen. Auf dem ihr unterschreiben sollt, dass sie nicht mehr auf die Dorfstraße gehen dürfen. Auf dem ihr euch einverstanden erklären sollt, dass vielleicht sogar ihre und unsere Kinder nicht mehr mitsammen spielen dürfen...!

Ich schwöre euch, wer das unterschreibt, dem kann ich und will ich auch nicht mehr helfen, und er muss, solange er lebt, ein falscher Hund, ein feiges Schwein, ein Affe oder ein blinder Wurm bleiben. Der hat keine andere Strafe verdient".

Der Papagei schwieg noch immer. "Ich der Poltergeist Edermühl," sagte Edermühl andächtig, "verspreche euch beim ewigen Licht von Gnagflow, jeder der seine Zustimmung standhaft verweigert, wird - und das ist das Gegenmittel, vom Fluch der Hexen erlöst sein. Ja sogar ihr Hexen könnt dadurch von eurem Hexendasein erlöst werden, wenn ihr dadurch eure Menschlichkeit beweist.

Wer aber trotzdem unterschreibt, den erwartet nichts Gutes! Wahrlich, der wird für immer eine Hexe oder ein Tier bleiben und muss als Vogel Strauß oder als Papagei als Esel oder als falscher Hund durchs Leben gehen. Jeder, der ihm begegnet, wird schon von Weitem erkennen, wer er ist!"

Das saß.

Die Hexen schwiegen. Eine Hexe weinte sogar, was nur alle hundert Jahre einmal vorkommt. Betretene Ruhe machte sich breit im Saal und dann gingen alle in ihre Häuser und Höhlen. Die beiden Geister, Wosik und Edermühl freuten sich über ihre gelungene Tat, und alsbald ward wieder Frieden im Dorf auf dem Berg eingekehrt. Niemand hatte auf seinen Fragebögen unterschrieben und es wurde am Ende alles wieder gut.
Tja, liebe Leute, so verlief die Geschichte. Sagt selbst, war das nun eine traurige Angelegenheit, oder nicht?

Seht ihr, so ist es. Einbildung, Neid und Hochmut, die tut niemals gut.

Und das Seltsame an dieser Angelegenheit ist, diese Geschichte wiederholt sich hundertfach immer wieder und wieder tagtäglich von Neuem auf der Welt. Und jeder muss mithelfen und dazu beitragen, dass sie dann doch ein gutes Ende findet, und die Gerechtigkeit siegt, wie in dieser Geschichte. Denn, weil sie noch nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Quelle: E-Mail-Zusendung von joschi anzinger, 2. Mai 2003
joschi anzinger
nebenerwerbsliterat. jahrgang 1958; geboren und aufgewachsen in altlichtenberg, bei linz. seit 1979 am pöstlingberg lebend, angestellter der linz AG, verheiratet, zwei kinder. mitglied der IG autorinnen autoren, der österreichischen dialekt autorinnen autoren und des stelzhammerbundes.

veröffentlichungen:
1996: "dialekt dialog" 1000 senku gedichte, gemeinsam mit hans kumpfmüller. ÖDA wien. 2000: "ghead und xeng" gedichte in oö. dialekt. resistenz verlag. beiträge in anthologien: "die rampe", "zwischenbilanz", "mostalgie", "meridiane", "sand & salz". in literaturzeitschriften: "morgenschdean", "literatur aus österreich", sowie satiren und kurzgeschichten in tageszeitungen. zahlreiche lesungen. autodidakt.
internet - www.joschi.at