Die Zauber- oder Berggeister-Kirche.
Auf dem Fichtelberge giebt es einen Berg, der heißt: der Ochsenkopf.
Viele wunderbare Dinge werden von ihm erzählt. Das Wunderbarste unter
allen aber ist eine verzauberte Kirche, ein in ein geheimnißvolles
Dunkel gehülltes Heiligthum, welches von Berggeistern bewohnt und
beherrscht wird. Darin finden sich Reichthümer und Kostbarkeiten
jeder Art in Menge aufgehäuft. Das Gold hängt gediegen, wie
große Eiszapfen, herab. Edle Steine von allen Farben und Sorten
liegen scheffelweise umher, so wie die harten blanken Thaler und Goldstücken
von der Größe einer Sonnenrose.
An dem Daseyn eines solchen Heiligthums läßt sich nicht zweifeln.
Nur ist es schwer, den Eingang dahin zu finden. So viel man aus Erfahrung
weiß, öffnet sich diese Kirche jährlich ein Mal von selbst
am Johannistage, und zwar nur so lange, als der Pfarrer im nächsten
Dörfchen Bischofsgrün das Evangelium auf der Kanzel verlieft.
Wer sich nun eben am rechten Orte befindet, der sieht die Kirche. Sie
steht dann offen, und er kann sich an all' den Herrlichkeiten weiden,
kann hineingehen, und seine Taschen mit Goldzapfen und Kleinodien füllen,
so viel er davon fortzubringen vermag. Dabei muß er aber doch sehr
vorsichtig seyn. Wenn ihm zugerufen wird, oder wenn er hinter und neben
sich ein Geräusch hört, oder wenn ein Phantom sich sehen läßt:
so muß er nicht antworten, muß sich nicht umsehen, muß
nicht das geringste Zeichen des Entsetzens an sich wahrnehmen lassen.
Kann er das nicht, so geschieht ihm zwar kein Leid, allein die gesammelten
Kleinodien verwandeln sich augenblicklich in eine gewöhnliche werthlose
Sache.
So ist es schon Vielen ergangen, welche ein glückliches Ungefähr
diese Erscheinung wahrnehmen ließ: z.B. einem Köhler, der,
als er durch die Oeffnung einer Felsenwand ging, sich plötzlich in
den Tempel versetzt sah, wo er mit Erstaunen einen Altar von gediegenem
Golde erblickte. Statt nun davon abzuschlagen, was losgehen wollte, und
seine Taschen damit zu füllen, dachte er: es sey doch besser, den
ganzen Altar fortzuschleppen, drehte sich um, wollte sich die Gegend genau
merken, nach dem Dorfe eilen, um von dem gemachten Funde seinen Bekannten
Nachricht zu geben und sie um Hülfe zu rufen; allein da hörte
er hinter sich ein entsetzliches Geprassel, weg war die Erscheinung, und
wie konnte er den Ort nun wieder finden!
Eben so ging es einst einem Mädchen, das Gras zu schneiden ausgegangen
war. Als sie eben ihr Gras in ein Bund sammelte und in den Korb thun wollte,
sah sie sich plötzlich in die Mitte eines Tempels versetzt.
Lauter Goldstangen lagen um sie her, lauter Schmuck und Perlen und köstliches
Geschmeide. In der Geschwindigkeit raffte sie zusammen, was sie fassen
konnte, warf das Gras wieder aus dem Korbe, füllte ihn über
und über mit kostbaren Dingen an, quälte sich gewaltig, um die
Last auf den Rücken zu kriegen, und eilte, um fortzukommen. Da erscholl
mit einem Male eine Stimme hinter ihr, die rief: »Sieh dich nicht
um!« Sie aber, sah sich unwillkürlich doch um, und augenblicklich
wurde der Korb leicht, denn - es war nun altes faules Holz, was sie trug.
* * *
Aus den schriftlichen Mittheilungen eines Bewohners
des Fichtelgebirges. - Ausführliche Beschreibung des Fichtelberges,
S. 69. - Die Werke des Teufels auf dem Erdboden, S. 234.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814