Die blutende Hostie.
Zur Entstehung der meisten Klöster und Stifter gab sehr häufig
der Aberglaube des Volks, den die nimmersatte Klerisei jener Zeit zu benutzen
wußte, die Veranlassung. Wo eine ungewöhnliche Naturerscheinung
vorfiel, wo eine menschliche Handlung einen Anstrich von übernatürlicher
Kraft zu haben schien, da war die Geistlichkeit bei der Hand, den Anschein
zur Gewißheit zu erheben, hinzuzusetzen was noch fehlte, und das
Volk zu täuschen, um es zur Spende oder zur Errichtung eines neuen
Aufenthalts des Wohllebens für sie zu veranlassen. Die Geschichte
der Klöster liefert hierzu Belege in Menge. Auch das Stift zum heiligen
Grabe bei Wittstock in der Priegnitz entstand auf diese Weise. Das Volk
erzählt davon folgende Sage:
Im Dorfe Techow fand sich einmal den Freitag nach dem Himmelfahrtsfeste
ein Jude aus Freiberg in Sachsen ein. Da ihn die Nacht übereilt hatte,
so blieb er im Gasthofe. In der Mitternachtsstunde erbrach er aber die
Kirche des Dorfs, und stahl die geheiligte Monstranz sammt der darin befindlichen
Hostie. Zwar eilte er gleich mit der Beute fort, war aber kaum einige
hundert Schritte vom Dorfe, so konnte er nicht von der Stelle. Er setzte
sich unter einer Eiche nieder, zerrieb vor Angst die Hostie, und grub
sie zwischen einem Galgen und einem dabei stehenden Pfahle mit einem Rade
in die Erde. Nun konnte er zwar wieder fortgehen, aber seine Hände
waren voll Blut.
Unterdessen war in Techow der Kirchenraub entdeckt worden, und der Verdacht
fiel gleich auf den Juden. Es wurde ihm nachgesetzt, und in Pritzwalk
erwischte man ihn auch. Aber der Israelit läugnete standhaft. Da
kleidete sich ein listiger Tuchmacher wie ein geistlicher Pater an, ließ
sich eine Platte scheeren, ging so zum Juden, schärfte ihm das Gewissen,
gelobte ihm die heiligste Verschwiegenheit an, und brachte ihn dadurch
so weit, daß er mit ihm zur Stelle ging, wo er die Hostie eingescharrt
hatte. Indem sie nun damit beschäftigt waren, sie wieder hervor zu
wühlen, sprangen mehrere Personen die in einem Busche verborgen waren,
hervor, und nahmen den Juden beim Kopf. Er gestand nun ohne Umstände
sein Verbrechen, und ward als ein Kirchenräuber zum Rade verurtheilt.
Bei der Vollziehung des Todesurtheils war eine große Menge Menschen
versammelt, welcher die Priester die blutige Hostie zeigten, und nun fingen
die Wallfahrten und Wunderkuren an.
Heinrich II. (aus der Schulenburgischen Familie) trat im Jahre 1270 seine
Regierung als Bischof an. Da seine Stiftskirche in Havelberg 1279 von
den Magdeburgern in Brand gesteckt worden war, so verlegte er seinen Sitz
nach Wittstock. Als er nun einmal nach Pritzwalk ritt, überfiel ihn
in der Gegend, wo sich die Geschichte mit dem Juden zugetragen hatte,
eine heftige Krankheit. Man mußte ihn vom Pferde heben und auf die
Erde legen. Er rief das heilige Sacrament an, that ein Gelübde, es
fleißig zu besuchen, und - ward gesund.
Ein anderes Mal, als er dieß Mirakel von der Kanzel verkündigen
wollte, sah er über der Grube, wo die Hostie gelegen hatte, den Himmel
offen. Er weinte, und ließ durch seinen Kapellan diese Begebenheit
dem Volke bekannt machen. Darauf baute er an dem Orte eine Kapelle, die
noch steht. Auch zwang er den Pfarrer in Pritzwalk, die berühmte
Hostie, die er in Verwahrung hatte, auszuliefern, der es auch, freilich
nicht gern, that. Das Wunderblut wurde nun in einer feierlichen Procession,
bei brennenden Kerzen die kein Wind verlöschen konnte, wieder an
seinen Ort gebracht.
Der Bischof wollte nun hier ein Nonnenkloster stiften. Er suchte dazu
die Einwilligung des Markgrafen Otto des Langen von Brandenburg zu erhalten;
allein diesem riethen seine Hofleute, lieber ein Jagdschloß dahin
zu bauen, und das sollte auch geschehen. Doch ein neues Wunder vereitelte
diesen Plan.
Otto reiste nämlich an den Ort, wo das Jagdschloß hinkommen
sollte. Als er nun unterwegs im Dorfe Mankauß sich zum Essen niedergesetzt
hatte, siehe, da verwandelten sich die aufgetragenen Speisen zu zweien
Malen in eine blutrothe Farbe. Da gab er sogleich den Plan zu dem Jagdschlosse
auf, und nahm sich vor, nun selbst ein Kloster auf dieser Stelle zu erbauen.
Dieser Entschluß erhielt dadurch noch mehr Festigkeit, daß
ihm des Nachts eine Stimme vom Himmel zurief: »Baue hier ein Jungfrauenkloster
Zisterzienser-Ordens, mit grauen Kappen, wie sie St. Bernhardt getragen,
nach der Regel St. Benedicts!«
Der Markgraf baute hierauf das Kloster im Jahr 1289.
* * *
Aus Müller's Frühlingsreise aus der
Priegnitz nach Thüringen, 1ster Th. 1795. S. 4.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814