Die goldenen Kohlen.
Nahe bei der Stadt Aschersleben *) liegt in dem engen Thale, das die
Eine durchfließt, eine Mühle. Groß und stattlich sind
ihre Gebäude, die Wohlhabenheit des Besitzers verkündend. Vordem
lebte aber einer ihrer Eigenthümer in der niedrigsten Dürftigkeit,
bis ihn folgende wunderbare Begebenheit schnell zu einer nie gekannten
noch erwarteten Wohlhabenheit verhalf.
Ein bei ihm dienendes Mädchen erwachte einst mitten in der Nacht.
Sie sah ihr Kämmerlein durch das Mondlicht erhellt, glaubte, der
Tag breche schon an, und erschrack gewaltig, daß sie vielleicht
die Zeit verschlafen habe. In wenigen Minuten hatte sie sich angekleidet,
und schlich nun leise, damit es der Herr nicht hören sollte, zur
Küche, um Feuer anzumachen. Sie pickte, und pickte, aber Zunder,
Stahl und Stein versagten ihr hartnäckig den Dienst. Von ungefähr
fällt ihr Blick auf das Küchenfenster, und - da glüht ihr
drüben von der andern Seite des Berges her ein helles Kohlenfeuer
entgegen. Zwar fällt es ihr auf, wo das Feuer da an den grünen
Berg hinkomme; indessen hält sie die Gelegenheit für gut, sich
gleich Feuer zu verschaffen, wirft das Feuerzeug weg ergreift eine hölzerne
Mulde, und geht hin nach der Stelle, um sich Kohlen zu holen.
Als sie näher kommt, sieht sie, daß Männer mit sonderbaren
Gesichtszügen, und in einer längst veralteten Tracht, sich um
das Feuer schweigend und unbeweglich gelagert haben. Dreist von Natur,
und weder was Arges ahndend noch wollend, läßt sie sich durch
diese Erscheinung nicht irre machen, geht darauf zu, füllt rasch
ihr Gefäß mit den vollglühenden Kohlen, eilt nach der
Mühle zurück, und ist froh, auf diese Weise gleich viel Feuer
auf einmal erlangt zu haben.
Kaum aber hat sie die Kohlen auf den Heerd geschüttet, und sich nach
Holz niedergebückt, als sie auch alle schon wieder erloschen sind.
Sie wundert und ärgert sich darüber, bläst und bläst,
daß sie ganz außer Athem kommt, aber, nichts da - die Kohlen
sind todt und bleiben todt. Schnell nimmt sie das Gefäß, eilt
wieder hinaus, um frische Kohlen zu holen, und sucht sich nun die größten
und glühendsten aus, denkend: die werden doch glühend bleiben.
Aber kaum liegen diese auf dem Heerde, so sind sie auch schon wieder schwarz
und todt. Unbegreiflich ist ihr dieß abermalige Erlöschen.
Sie schüttelt den Kopf, ist unschlüssig, was sie thun soll,
geht indessen zum dritten Mal hinaus, Kohlen zu holen, doch mit dem festen
Vorsatze, zum letzten Male. Wie die beiden ersten Male, füllt sie
furchtlos ihr Gefäß mit den besten Kohlen an; aber, indem sie
sich umdreht, zurück zu gehen, hört sie hinter sich mit drohender
Stimme rufen:
»Nun komm nicht wieder!«
Von Furcht plötzlich ergriffen, läuft sie hastig der Mühle
zu, und wirft mit einem heimlichen Schauder die Kohlen auf den Heerd,
welche, wie die vorigen, im Nu verlöschen. Eiskalt läuft es
ihr über den ganzen Leib, sie zittert und blickt scheu und bange
durch das Küchenfenster nach dem Feuer hin. Das dauert ungefähr
zwei Minuten, da fängt die Thurmuhr in der Stadt an zu schlagen.
Sie schlägt und schlägt eine lange Reihe. Jetzt ertönt
der letzte, der zwölfte Schlag, und - weg ist das hellglühende
Kohlenfeuer, weg sind die seltsamen Gestalten, nicht eine Spur davon ist
noch sichtbar.
Von den Schrecken der Mitternacht ergriffen, von den Schauern der Geisterwelt
angeweht, eilt sie aus der Küche, ihrem Kämmerlein zu, verbirgt
sich tief in ihr Bette, zittert und bebt, und schläft endlich, von
der ungewöhnlichen Spannung ermüdet, ein.
Am andern Morgen erwacht zuerst der Müller. Da noch Alles im Hause
schläft, so geht er in die Küche, um selbst Feuer anzumachen.
Aber wie erstaunt er, als es ihm vom Heerde wie lauter Gold entgegenstrahlt.
Er untersucht, und findet - pure gediegene Goldstücke.
Ob er dem unschuldigen Dienstmädchen, das ihn in argloser Einfalt
so reichlich beschenkte, dankbar ward, das verschweigt die Sage; aber
seitdem stieg ein schönes großes Mühlengebäude auf
dem Grunde des alten ärmlichen hervor, und der Besitzer war nun ein
reicher, reicher Mann.
* * *
Aus mündlichen Ueberlieferungen.
*) 4 Meilen von Halberstadt.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814