Die Gegensteine.
Zwischen Ballenstedt und Quedlinburg liegen auf einer Anhöhe zwei
isolirt stehende Sandsteinfelsen, die Gegensteine genannt. Vermuthlich
heißen sie deswegen so, weil sie seitwärts gegen einander liegen.
Der eine, der etwas niedriger als der andere liegt, giebt, wenn man gegen
seine Mittagsseite spricht, jeden Ton, jedes Wort im Echo zurück,
und heißt daher »der Laute.« Der andere besitzt diese
Eigenschaft nicht, und man nennt ihn »den Stummen.«
Böse Geister trieben hier sonst ihr Wesen, und dem Wanderer war es
grausend und fürchterlich, bey nächtlicher Weile vorbei zu gehen.
Doch wichen sie Menschen, die, reines Gewissens und vertrauend auf Gott,
ihnen gerade entgegengingen.
Einst, es war im Frühjahr, ritt kurz vor Sonnenaufgang ein Ackermann
aus Ballenstedt auf seinem vor Alter und kärglichem Futter matten
Pferde zwischen den Gegensteinen durch, um seinen dahinter liegenden Acker
zu besäen. Des öfter schon gethanen Weges kundig, saß
er in Gedanken vor sich hin auf dem alten Gaule. Erst, als er seinen Acker
erreicht hatte, blickt er um sich. Aber wie erstaunte er! Die Gegend war
ganz verändert, und vor ihm zeigte sich eine tiefe geräumige
Höhle. Nie hatte er sie bemerkt, und konnte sich auch gar nicht erinnern,
je davon gehört zu haben. Die Neugierde trieb ihn an, sich ihrer
Oeffnung zu nähern. Da erblickte er eine große Pfanne voll
Gold, auf selbiger eine silberne Tafel, in welche Zahlen eingegraben waren,
neben dieser eine schöne neue Peitsche, dabei aber einen, alle diese
Kostbarkeiten bewachenden, großen, schwarzen Hund mit feurigen Augen.
Lange stand er vor den schönen Sachen, musterte sie sorgfältig,
und war unentschlossen, was er thun solle. Die Peitsche wünschte
er sehnlich zu haben, und eine Hand voll Geld auch. In Gedanken berechnete
er schon, wie er seine Unstände dann verbessern und ein gemächlicheres
Leben führen könne, wenn nur der fatale Hund nicht gewesen wäre.
Indessen nahm er sich doch ein Herz, ging näher, sah dabei immer
den schwarzen Wächter an, und da dieser ganz ruhig lag, wollte er
schon zugreifen; aber da erhob sich dieser, knurrte, fletschte die Zähne,
und der Ackermann trat zitternd zurück. Drei Mal wagte er es so,
zuzugreifen, und jedes Mal widersetzte sich das Thier. Da wurde er unwillig,
fluchte, und wünschte laut den Hund zu allen Teufeln. Was geschah!
Der Nebel verschwand, weg war der Hund, und vor dem erschrockenen Manne
erhob sich ein Wesen, halb thierischer, halb menschlicher Gestalt, wie
nur je das böse Gewissen den Teufel sich mahlt. Unwillig schüttelte
es seinen Kopf, und mit Sausen und Brausen fuhr es hoch in der Luft mit
der Pfanne und Tafel nach einem der Gegensteine hin, trat mit dem Fuße
davor, und - von einander theilte sich dieser, nahm das Ungethüm
ein, und schwapp - da fuhren beide Theile wieder zusammen.
Der Ackermann stand da und wußte nicht, wie ihm geschehen. - Lange
hörte er noch das Klingeln des Geldes, wie es hinunter in den Gegenstein
fiel. Nur die Tafel sah er noch, und viele Zahlen darauf, welche die Summen
des Schatzes anzeigten.
Wo die Höhle gewesen, wußte er nicht mehr; die Peitsche lag
zwar da, aber er rührte sie nicht an, denn sie war ja vom Teufel.
Hier in dem Gegensteine sitzt nun das Ungethüm noch, und spottet
die Vorübergehenden; denn, fragt man es, so erhält man immer
dieselbe Antwort. Alle Töne und Stimmen ahmt es nach, spukt auch,
aber gar selten, in menschlicher Gestalt um Mitternacht in der Gegend
umher, um den Wanderer zu irren.
* * *
Aus mündlicher Ueberlieferung.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814