Herr Nickert und der Saaltanz bei Großwirschleben.
Jeder Fluß wird von einem geistigen Wesen beherrscht. Dieß
war für unsere Ahnherren eine ausgemachte Wahrheit, wovon sie sich
täglich überzeugt fühlten; denn sie empfanden ja den Einfluß
eines solchen Wassergottes von guten und von bösen Seiten, sie sahen
ihn auch wohl.
Der Flußgott der Saale ist Nickert. Bei Bernburg ist ein kleines
Hölzchen, das jetzt der Prinzenwerder heißt, da hat er nicht
weit davon in unergründlicher Tiefe seine Wohnung. Er ist zwar ein
gutartiges Wesen, übt aber doch gern Schabernack aus. Fährt
ein Kahn Strom auf oder ab, worin ein Leichtsinke mit sitzt, so dreht
er den Kahn im Kreise herum, und dann haben die Schiffer alle Mühe,
ihn wieder in den Gang zu bringen. Bei ungewöhnlichen Gelegenheiten
läßt er sich sehen, und badet sich sichtbar. In den Jahren
1805 und 1806 hat er sich sogar noch sehen lassen. Er steckte da den Kopf
aus dem Wasser, und plätscherte mit den Händen.
Wenn ein Mensch in den Fluß gestürzt ist, so ist er sehr geschäftig,
ihn zu retten, und wehe dem Fischer, der alsdann nicht gleich bei der
Hand ist und Hülfe leistet. Der hat gewiß jedes Mal, wenn er
angelt, statt eines Aals, einen Frosch an der Nachtschnur.
Dem Nickert zu Ehren, und zum Vergnügen, hält das junge Volk
von Großwirschleben *) jährlich einen Tanz, welchen man den
Saaltanz nennt.
An der ersten Mittewoche nach Pfingsten (die Knoblauchsmittewoche genannt)
werden nämlich die öffentlichen Brunnen gereinigt. Ist diese
schmutzige Arbeit vollbracht, so zieht alles an die Saale, und reinigt
und wäscht sich an einer seichten Stelle. Dabei geht es mitunter
sehr lustig zu. Man treibt muthwillige Streiche, bespritzt sich, und kein
Zuschauer kommt unbenetzt durch, wofür die losen Dirnen noch obendrein
eine Belohnung verlangen. Wer sich nun in die Gewohnheit fügt, mit
lustig ist und die Wasserweihe hinnimmt, der darf hinterdrein auch am
Tanze Theil nehmen. Denn kaum ist die allgemeine Reinigung vollbracht,
so erhebt sich die Dorfmusik. Alles kleidet sich trocken und reinlich
an, und nun gehts Paarweise auf den Gemeineplatz. Hier wird von der Jugend
getanzt und vom Alter zugeschaut bis zum Untergang der Sonne, wo das Fest
ein Ende hat.
Vordem sangen die Mädchen, wenn sie zur Reinigung in die Saale gingen,
folgende Worte nach der Melodie: Mein Jürge, mein Jürge, u.s.w.
Herr Nickert, Herr Nickert! da sind wir nun hier,
Und tanzen im Wasser ein Tänzchen vor dir.
Du bist in der Mitte, so tanze voran;
Es folget dir gerne, wer Lust hat und kann.
Nach geendigter Wäsche folgte der zweite Vers:
Herr Nickert, Herr Nickert! für dieß Mal gemacht
Ist nun unser Tänzchen, im Saalstrom vollbracht.
Wenn Knoblauchsmittwoche wieder erscheint,
Dann tanzen wir wieder in Eintracht vereint.
Das hat sich aber jetzt verloren. Man wäscht sich ohne diesen Gesang.
* * *
Aus schriftlichen Mittheilungen.
*) Ein Dorf bei Bernburg.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen
und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814