Die Tanzwiese.
In eben dem Thale bei Aschersleben liegt eine Wiese, die Tanzwiese genannt,
zu deren Namens-Erklärung man folgende Sage hat.
In diesem friedlichen Thale versammelten, vor Jahrhunderten, sich oft,
an schönen Sommerabenden, die blühenden Töchter der benachbarten
Stadt, um sich mit Tanzen zu belustigen. Besonders pflegten hier, auf
der rings umschlossenen Wiese, die Bräute in den nächsten Tagen
vor der Hochzeit mit den Gespielinnen ihrer Jugend, deren Kreis sie nun
bald verlassen sollten, zu tanzen.
Lange blieb diese schuldlose Freude ungestört, bis die benachbarte
Raubburg auch diese Bürgerfeste unterbrach.
Einst tanzten hier, am zweiten Vorabend der Hochzeit einer reich ausgestatteten
Braut, viele geladene Jungfrauen, bis spät in die Nacht, welche der
Vollmond erhellte. Gegen Mitternacht brach die jubelnde Schaar auf, um
tanzend und singend heim zu kehren. Doch nicht alle der Geladenen kehrten
zurück. Zwei der blühendsten Dirnen wurden in den elterlichen
Häusern vermißt, und fanden sich, alles heimlichen Forschens
und Suchens ungeachtet, nicht wieder. Nach einigen Stunden vergeblichen
Harrens verbreitete sich Bestürzung über viele benachbarte Häuser,
und die Sorge hielt manches weinende Auge wach. Auch die Rache entbrannte;
denn Viele ahndeten schon, durch ähnliche Unbildung dazu berechtigt,
eine, unter Begünstigung der Nacht und des Freudetaumels, verübte
Entführung.
Und ihre Ahndung betrog sie nicht. - Einige Knappen des Burgherrn auf
Arnstein hatten Kunde bekommen von diesem ländlichen Feste, und,
um sich und ihrem Herrn einen Scherz nach ihrer Sitte zu bereiten, hatten
sie, versteckt in dem Dickicht, welches die Tanzwiese begränzte,
zwei der Tänzerinnen, die während des lärmenden Aufbruchs
sich etwas von ihren Gespielen entfernt hatten, geraubt, und sie auf Umwegen
in das nahe Harzgebirge geführt, um sie, zur ersehenen Zeit, unbemerkt
in die Raubburg zu bringen.
Kaum blickte die Sonne auf, so versammelten sich viele der Bürger,
welche die Nacht angstvoll durchwacht hatten, vor den Thüren ihrer
Häuser, um mit den aufgeschreckten Nachbaren Rath zu pflegen, was
zu thun sey. Ein heimlich ausgeschickter und mit der Morgenröthe
heimkehrender Späher hatte nur zu sehr die Vermuthung einer gewaltsamen
Entführung bestätigt, ob er gleich die Spur der Räuber
im Gebirge verloren hatte, und es nur ahndete, daß sie auf dem Arnstein
hauseten.
Die Schöffen, von dem sich verbreitenden Schrecken mit Tagesanbruch
benachrichtigt, beriefen sofort den wohlweisen Rath, die Aldermänner
und die Väter und Verwandten der Entführten zu einer geheimen
Sitzung, und ließen Stille und Ruhe in den Häusern gebieten.
- Die meisten der Versammelten riethen, augenblicklich die ganze waffenfähige
Mannschaft aufzubieten, um die verhaßte Raubburg Arnstein zu erstürmen
und von Grund aus zu zerstören. Aber, außer der Unbestimmtheit
der Nachrichten, würden, wie der vorsitzende Schöffe klüglich
bemerkte, Monathe kaum hingereicht haben, um in offner Fehde die wohlbefestigte
und mit Lebensmitteln reichlich versehene Burg einzunehmen; und doch war
schnelle Hülfe hier nöthig.
Und so fand, nachdem eine lange stürmische Berathung die Köpfe
und Zungen der Eiferer, es sey betäubt, oder abgekühlt hatte,
der Rath eines bejahrten Aldermanns Eingang, der den Versuch einer Kriegslist
vorschlug, welche den Entführten schnellere Befreiung versprach.
Auf seinen Rath mußte jeder still nach seinem Hause zurückkehren,
und Bestürzung und Rache tief im Herzen verschließen. Dann
wurde (gleich als hätte man bei dem fortwährenden Freudentaumel
jene Entführten noch nicht vermißt, oder erwarte ruhig ihre
Heimkehr) so lärmend als möglich ein ähnlicher festlicher
Tanz, auf den eigentlichen Polterabend, in den Häusern der Stadt
angesagt, und die Nachricht davon durch vertraute Boten auch in den benachbarten
Weilern und Dörfern verbreitet.
Und die Kunde davon kam auch bis zu den Ohren des Burgherrn von Arnstein,
der bei einem Zechgelage, mit seinen Rittern und Knappen, die Dummheit
der Bürger laut belachte, die für sie ihre Töchter groß
zögen.
Unter Lachen und Fluchen ward ein großer Ausritt beschlossen; denn
keiner der Anwesenden wollte dieß Mal zurückbleiben von dem
lustigen Streifzuge nach der Tanzwiese.
Als die Dämmerung hereinbrach, füllte sich allgemach die Wiese
mit Tanzenden. Doch dieses Mal waren die Dirnen daheim geblieben. Von
dem Schatten der Nacht umschleiert, hatten sich die rüstigen Bürger,
nebst ihren erwachsenen Söhnen, in Weiberkleidern, die geschärfte
Waffen verbargen, eingefunden, um die Ehre ihrer Töchter, Schwestern
und Verlobten zu rächen, und auf die Zukunft zu sichern. Sie tanzten
laut jubelnd, doch nach Weiberart, bis gegen Mitternacht; während
daß ausgesandte Späher, von dem stillen Heranzuge der Räuber
von Arnstein immer nähere und nähere Botschaft brachten.
Jetzt brachen die Tanzenden auf, um im Großvatertanz und singend
nach Hause zu ziehen. - Siehe! da stürmte der Burgherr von Arnstein,
von vielen Reisigen, Rittern und Knappen zu Pferde und zu Fuß begleitet,
heran, um den großen Fang zu thun, dem der gestrige nur das Vorspiel
seyn sollte.
Der Burgherr, als er mitten unter die Tanzenden hineingesprengt war, saß
ab von seinem Streitroß, um den Ruhm und die Freude zu haben, mit
eignen hohen Händen die Braut entgegen zu nehmen.
Aber, wie ward ihm, der hohnlachend und mit donnernder Stimme die vermeinte
Braut für sein Eigenthum erklärte, als ihm ein gezucktes Schwert
entgegenblitzte, und den ausgestreckten Arm augenblicklich durchbohrte!
Brüllend und Rache schnaubend stürzte er zurück, und forderte
sein Streitroß. Aber zehn kraftvolle Arme hielten ihm Hände
und Schultern und Füße, wie mit eisernen Fesseln umstrickt.
Einige der Ritter und Knappen, die brüllend dem Burgherrn zu Hülfe
eilten, wurden, nach kurzem Kampf, übermannt und gefesselt; die meisten
entflohen schreiend, von schimpflichen Schlägen und Steinwürfen
zerbläut.
Die eingefangenen Räuber wurden im lauten Triumph der Stadt zu geführt.
Den Burgherrn von Arnstein spundete man vorläufig in einen großen
eichenen Kasten ein. Und hier gestand er, durch die Anstalten zu seiner
nahen Hinrichtung geschreckt, den verübten und den beabsichtigten
Frevel. Die geraubten Jungfrauen wurden, auf seinen Befehl, augenblicklich
zurückgebracht; und nur mit schwerem Lösegelde, und der eidlichen
Zusage, sich nie wieder eines Frevels gegen die Stadt und deren Bewohner
schuldig zu machen, erkaufte er seine Befreiung aus dem furchtbaren Kerker.
Der eichene Kasten, worin der Burgherr von Arnstein einige Monden schmachtete,
ist noch jetzt auf dem Rathhause zu Aschersleben zu sehen, ein Denkmal
der Sitten der Vorzeit für kommende Jahrhunderte.
* * *
Von Otmar (Nachtigall in Halberstadt) erzählt
und in 'Das Alexisbad im Unterharz von Krieger; Magdeb. 1812. 8. S. 316.'
zuerst abgedruckt.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814