Der Ring der ehelichen Treue.
Vor Zeiten hauste einmal, in einer schauerlichen Gegend des Schwarzwaldes,
Ritter Kuno von Falkenstein. Auf einem unzugänglichen Felsgipfel
hatte er sich eine Burg erbaut, fest und gewaltig, wie die damalige Zeit,
die hieß er den Falkensteig. Drinnen lebte er in glücklicher
Ehe mit seiner Hausfrau viele Jahre lang, denn sie hatten alles, was ihr
Herz wünschte, und kannten nicht Mangel, nicht Noth. Aber eins fehlte
ihnen, eins, das sich nicht mit Gold und Gelde erkaufen läßt,
und mehr dem Armen als dem Reichen zugetheilt ist, Kinder. Von Jahr zu
Jahr hatte die Hoffnung sie hingehalten, ihren sehnlichsten Wunsch doch
endlich erfüllt zu sehen, aber umsonst. Zehn Jahre waren schon so
verflossen, und Ritter Kuno sah mit Schmerz, daß sein alter Stamm
mit ihm erlöschen werde.
Schwermüthiger Gedanken voll, ging er einst im einsamen Forste, klagte
und jammerte bei sich über das harte Schicksal, das ihm alles gab,
nur kein Kind, und warf sich endlich unter einer Eiche nieder, seinem
Kummer recht nachzuhängen. Siehe, da stand plötzlich ein unbekannter
Jäger vor ihm, von seltner Gestalt und Geberde, und sprach:
»Ritter Kuno, seyd fröhlich und guter Dinge! Ihr sollt eine
zahlreiche Nachkommenschaft haben, wenn ihr euch mir zum Eigenthum verschreiben
wollt!«
Dem Ritter fuhr's eiskalt über die Haut. Er stand auf, betrachtete
den Jäger genauer, und da sah er erst den Pferdefuß, und erkannte
den »Gott sey bei uns«. Flugs schlug er andächtig ein
Kreuz, und der tückische. Satan verschwand; aber Kuno's Gemüth
ward düsterer und schwermüthiger, als je. Langsam ging er nach
seiner Burg zurück. Auf seiner Stirn lag Trübsinn und Kummer
und kein freundlicher Blick mehr. Da beschloß er endlich, nach dem
heiligen Lande zu pilgern, und im blutigen Saracenenkampf und im heißen
Gebet an des Erlösers Grabe, seines Kummers Linderung zu suchen.
Schon standen die Rosse für ihn und seine drei Knappen im Vorhofe,
als Kuno sein trauerndes Weib noch ein Mal umarmte, und ihr, nach damaliger
Sitte, die Hälfte seines entzwei gebrochenen Eheringes darreichte.
»Nimm!« so sprach er ernst, »nimm hin die Hälfte
unseres Ringes ehelicher Treue, den des Priesters Hand weihte, er möge
der wieder vereinigenden Liebe Probe seyn. Sieben Jahre harre meiner,
kehre ich auch dann noch nicht heim, so denke - ich sey gefallen, und
dann - sey unser Eheband gelöst.«
Eine Thräne der Trennung entschlüpfte ihm, noch eine herzliche
stumme Umarmung, und dann schwang er sich auf sein Roß. Fort ging
es nun durch Feld und Wald, durch Gebirge, über Flüsse und Meere.
Schon hatte sein Schwert der Ungläubigen Blut, schon hatte die heilige
Stätte seine frommen Thränen getrunken, und noch immer kehrte
kein Friede in seine Brust zurück. Oft war ihm der Böse in mancherlei
Gestalten erschienen, und hatte sein Anerbieten erneuert; aber Kuno blieb
standhaft, und wies jeden Antrag von sich.
So verflossen einige Jahre unter blutigen Kämpfen und grausamem Gemetzel
im Heere der Ungläubigen, als Kuno eines Tags gefangen ward und in
des Sultans Hände fiel. Er erwartete einen schmählichen Tod,
allein man warf ihn in einen finstern Kerker, wo er, getrennt von seinen
treuen Knappen, tief unter der Erde, schreckliche Tage der Einsamkeit
verleben mußte. Ach! wie oft seufzte er da auf seinem Lager von
Stroh nach dem lieben Vaterlande, nach seiner lieben Hausfrau! wie oft
betete er da zu Gott um Erlösung oder Tod! Aber noch hatte die Stunde
der Befreiung nicht geschlagen, noch sollte er erst große Prüfungen
ausstehen. Denn einst, als er auch im tiefen Jammer sein feuchtes Lager
mit Thränen netzte, ward es plötzlich lichter Tag um ihn her,
und vor ihm stand Satanas, und sprach:
»Ritter Kuno, ich befreie dich aus diesem Kerker, gebe dir des Sultans
Tochter zum Weibe und eine Krone zur Mitgift, wenn du dich und deine Seele
mir verschreibst!«
Kuno schwieg in sich gekehrt.
»Oeffne dir eine Ader,« fuhr der Böse fort, »hier
ist Papier, schreibe flugs mit deinem eigenen warmen Blute, und im Hui
bist du frei!«
Da sprang Kuno voll Zorn auf von dem Lager, und sprach:
»Hebe dich von mir, du böser Geist! Ehe soll das Gewürm
hier meinen Leichnam fressen, als daß ich mich dir ergebe. Fort!«
Und es verschwand der Böse aus dem Kerker, und versuchte nicht wieder
den Kuno.
Nach zwei schrecklichen Jahren endlich öffnete der Sultan seinen
Kerker. Kuno wurde entlassen, erhielt seine Freiheit, und durfte wieder
heimziehen in das Land, wo seine Väter ruhten. Allein, und ohne einen
Gefährten, trat er die lange Reise an. Sein Körper war siech,
sein Geist schwach. Mit Mühe schleppte er sich durch große
Steppen und wüste Felder einem weiten, unabsehbaren Walde zu. Ohne
Steg, ohne Weg, irrte er darin herum, hoffend, er werde doch endlich seinen
Ausgang erreichen; aber ein ganzer heißer Tag verging, und noch
nahm das Dickicht kein Ende. Am dritten Tage hatte er am frühen Morgen
kaum seinen Weg fortzusetzen begonnen, als er auf einer freien Stelle
drei Menschen in der Kleidung seines Landes vor sich sah. Er erreichte
sie bald, und fand zu seinem größten Erstaunen und Freude in
ihnen seine drei Knappen wieder. Wie umarmte er sie brüderlich und
herzinnig, wie wohl ward ihm, seine alten treuen Diener nun wieder bei
sich zu haben, und mit ihnen den weiten Gang zur Heimath vollbringen zu
können. Gestärkt fühlte er sich an Kraft, und zum ersten
Male wieder heitern Sinnes zog er mit ihnen vorwärts. Aber sie zogen
viele Tage und viele Nächte und immer im Walde umher. Da war nirgends
ein Pfad, nirgends eine Hütte, nirgends Lebensmittel, und nur mit
Kräutern und Wurzeln konnten sie sich erhalten. Mit einem Male standen
sie vor einer hohen, hohen Mauer, die war links und rechts von unabsehbarer
Länge, und hatte nirgends, so ämsig sie auch darnach suchten,
eine Oeffnung, wo man hätte durchgehen können. Kuno setzte sich
nieder, und befahl den Knappen, daß einer die Mauer hinan kletterte,
und hinüber schaute, wie es da aussähe. Sofort stieg einer auf
den Schultern der andern hinan, klimmte bis auf die Höhe der Mauer,
und als er nun oben saß, blickte er lächelnd zurück auf
den Ritter, und verschwand auf der andern Seite. Da klimmte der zweite
hinan, und als er oben saß, und Kuno gespannt seiner Botschaft harrte,
da nickte er seinem Herrn freundlich zu, und, weg war er.
»Nun habe ich noch dich,« sprach Kuno zum dritten, »wenn
auch du mich verlässest, so bin ich in wegloser Wüste allein,
und ein Raub wilder Thiere!«
»Ich bleibe euch treu bis in den Tod,« sprach der Knappe,
»helft mir nur auf die Mauer, und ich entdecke euch redlich, was
ich sehe.«
Der Ritter that's. Auf seinen Schultern stieg er den gefährlichen
Weg hinan. Und als er oben war, und Kuno voll Angst zu ihm aufschaute,
und der Kunde des ihm noch einzigen Gefährten harrte, siehe, da blickt
auch dieser treulos auf den Herrn zurück, nickt ihm zu, und fort
ist er, gleich den andern.
Kuno schauderte, und sein sich sträubendes Haar ließ ihn hier
die unsichtbare Nähe seines tückischen Feindes vermuthen. Er
zitterte an allen Gliedern, sank auf seine Kniee, und sprach andächtig
ein Gebet, das ihn ein frommer Priester gelehrt hatte. Drei Mal rief er
dabei den Namen des heiligen Gottes mit lauter Stimme aus, da wich die
Verblendung. Die Mauer verschwand, und der Ritter erkannte, daß
Satan ihn durch die drei falschen Knechte irre geführt habe, und
daß jenseits der Mauer das verwünschte Paradies oder Satans
Reich gewesen sey, in das er ihn locken wollen.
Mit angestrengter Kraft floh Kuno von der unheimlichen Stelle, ging raschen
Schrittes vorwärts, aber ob er wirklich nach seiner Heimath hin ging,
das wußte er nicht. Hunger und Ermattung warfen ihn endlich nieder.
Er glaubte, sein Ende nahe sich, aber ein wohlthätiger Schlummer
war es, der ihn überfiel. Kaum hatten sich seine Augen geschlossen,
da sah er im Traume seine Ehefrau, wie sie so eben mit einem andern Ritter
zum Traualtare ging. Am ganzen Körper zitternd, erwachte er plötzlich,
tröstete sich zwar, daß es ein Traum sey; als er aber nachdachte
und zählte, da fand er, daß das siebente Jahr sich jetzt gerade
ende. Schnell raffte er sich auf, lief fort, stand still, rang weinend
die Hände, blickte mit Verzweiflung auf den ungeheuren Weg, der ihn
noch von seiner Heimath trennte, und - - schau! da stand wieder derselbe
Jäger vor ihm, der ihm schon daheim im Walde, und auch nachmals noch
bei jeder Noth und Gefahr, versuchend erschienen war.
»Morgen,« grinste Satan, »ist dein Weib das Weib eines
Andern. Du hast noch tausend Meilen bis heim. Verschreibst du dich mir
aber mit deinem Blute, sieh, so bringe ich dich morgen zur rechten Stunde
auf deine Burg.«
Kuno war in der schrecklichsten Angst und Verzweiflung. Er liebte sein
Weib so herzlich, und liebte doch auch Gott und seine Lehre so von ganzer
Seele. Was sollte er beginnen! Fürchterlich war der Kampf in seinem
Innern. Er weinte und jammerte, und hob die Hände ringend zum Himmel.
Das sah der Satan, und sprach:
»Noch eins will ich dir gewähren: Du bist deines Versprechens
wieder ledig, schläfst du auf der weiten Reise nicht ein!«
Zwar war Kuno vom langen Wachen, von der weiten Reise erschöpft und
matt, und fürchterlich schien sich ein tiefer Abgrund vor ihm zu
öffnen, wenn er, auch unter dieser Bedingung, den Vertrag einginge;
aber die Liebe zu seinem Weibe und Vertrauen auf Gott, der seine Augen
ihm offen erhalten werde, ließen ihn endlich den kühnen Bund
schließen. Mit seinem warmen Blute schrieb er die schrecklichen
Worte nieder, die ihn zu Satans Eigenthum machten. Kaum war das unglückliche
Blatt in des Teufels Klauen, und kaum hatte er grinsend und mit feurigen
Augen die blutige Schrift überlesen, als die Hülle des Jägers
von ihm abfiel, und er nun in der Gestalt eines gewaltigen Löwen
vor dem bleichen Kuno stand.
»Setze dich auf!« schnaubte das Thier, »ich trage dich
sicher.« Und Kuno setzte sich mit christlichem Muthe und Vertrauen
in Gott auf den Löwen. Nun ging's in sausendem Gallop über Berg
und Thal, über Land und Meer. Schneidend pfiff die Luft in Kuno's
Locken, so schnell durchflog er sie, und oft schwindelte ihn ob des raschen
Laufs. Aber er blieb dabei immer wach. Sein fester Glaube, und die mit
seiner Reise verknüpfte Gefahr, verscheuchte jeden Schlaf, und ängstlich
hielt er sich in der rauhen Mähne des Löwen fest, um nicht herab
zu taumeln, und im raschen Fluge an Felsen zu zerschellen.
Doch, als der Abend herandunkelte, da begannen ihm die Augenlieder zu
sinken. Mit der höchsten Anstrengung suchte er sie offen zu erhalten,
aber umsonst! Sie sanken und sanken. Da ergriff ihn plötzlich der
höchste Grad der Angst und Verzweiflung, und laut schrie er Gott
um Hülfe und Rettung an. Die kam auch. Zwei muntere Falken schwebten
hernieder, flatterten erst um den höllischen Renner in Kreisen herum,
dann setzte sich der eine auf das Haupt des Ritters, der andere auf seinen
Fuß, und wenn nun Kuno's Augen sich schließen wollten, dann
flatterten sie ängstlich um ihn her, pickten ihn mit ihren Schnäbeln,
schlugen ihn mit ihren Fittigen, und erhielten so den armen Geängstigten
wach. Satan ergrimmte darob gewaltig, doch konnte er's nicht hindern,
und da er einmal an den Vertrag gebunden war, so mußte er die Reise
auch enden. Glücklich und ohne eingeschlafen zu seyn, langte der
Ritter in seinem Dorfe Kirchzarten beim Gasthofe an.
Wie hoch schlug ihm das Herz vor Freude und Wonne, als er die Zinnen seiner
Stammburg wieder sah, worin er nun seine traute Hausfrau finden sollte.
Aber, wie ward ihm, als in dem Augenblick ein stattlicher Brautzug aus
der Kirche daher kam, von Trompeten und Pfeifen begleitet, und sein Weib,
im brautlichen Kleide, züchtiglich an der Seite des Bräutigams
vor ihm vorüberging. In die Erde hätte er sinken mögen
vor Scham und Schmerz, vor Wehmuth und Gram. Doch ermannte er sich, folgte
unbekannt dem festlichen Zuge nach in seine Burg, und mischte sich mit
unter die Gäste in dem weiten Prunksaal. Da ging nun der gastfreundschaftliche
Becher herum bei allen Anwesenden, und auch Kuno wurde er gereicht. Er
trank ihn halb aus, ließ während dem unvermerkt die wohlverwahrte
Hälfte des ehelichen Trauringes hineinfallen, und reichte den Becher
der Braut. Ohne den Fremdling zu erkennen, - denn wie hatten diesen Gram
und Kummer verstellt, - führte sie den Pokal zum Munde, blickte zufällig
hinein, erschrak, warf einen zweifelhaften und prüfenden Blick bald
auf Kuno, bald auf des Ringes Hälfte, griff in ihren Busen, zog die
andere Hälfte des Ringes hervor, warf sie auch in den Wein, und da
- seht das schöne, das erfreuliche Wunder! - vereinigten sich die
beiden Hälften zum festen nun nicht mehr zu zerbrechenden Ringe.
Mit einem Schrei des Entsetzens und der Freude warf sie sich zum Erstaunen
der Hochzeitsgäste in Kuno's Arme, und sprach:
»O! verzeih mein Gemahl! den Gott mir wiedergab; verzeih meinen
Irrthum, und nimm als liebendes Weib von neuem mich an!«
»Du bist, entgegnete Kuno, durch sieben Jahre treu mir geblieben.
Der Herr hat uns nach vielen Gefahren, nach großer Prüfung
wieder vereint, nun soll uns nur der Tod trennen!«
Es war indessen der Freier, es waren die Hochzeitsgäste still fortgegangen,
und als Kuno und sein Weib von ihrem ersten freudigen Entzücken sich
erholt hatten, sahen sie sich allein im weiten Prunksaale. Man ließ
alle ihrer Straße ziehen, rief keinen zurück. Aber Kuno führte
fortan ein stilles und gottesfürchtiges Leben mit seiner treuen Hausfrau
bis in ein hohes Alter. Den Kirchen und den Armen gab er viel und reichlich.
Vor allen aber nahm er sich der dürftigen Wanderer an, die speiste
und tränkte er, die warnte er aus eigner Erfahrung, vor den Verblendungen
des Satans, die ermahnte er, ihr Vertrauen nur auf Gott zu setzen, so
würden sie stets den Versuchungen des Bösen widerstehen können.
Darum ward er aber auch nach seinem Tode selig gesprochen. Aber auch in
den himmlischen Wohnungen blieb er den Reisenden Freund. Oft schon erschien
er dem zagenden Wanderer, der auf wüster Heide oder in des Waldes
unwegsamen Dickicht des Weges Spur verloren hatte, als ein freundlicher
Alter, reichte ihm labende Speise und Trank, und führte ihn sicher
auf den rechten Pfad. Oder, wenn bei nächtlicher Weile, am verrufenen
Kreuzweg, dem schanernden Pilger ein zusammengeschrumpftes Mütterchen
begegnet, wenn ihn ein täuschendes Irrlicht auf Abwege führt,
oder gar ein Kobold beim Schopf ihn faßt, dann darf er nur vertrauend
den heiligen Kuno um Hülfe anrufen, und er eilt herbei, scheucht
die Gestalten, und leitet den Verirrten, den Geblendeten auf rechten Weg.
* * *
In der Kirche des Dorfes Kirchzarten, unter
den Ruinen der Burg Falkensteig, sieht man noch jetzt das dem Grafen Kuno
von Falkenstein errichtete Monument. Auf einem Löwen steht da ein
Ritter im Panzerhemde mit Schild, Schwert und Dolch; das Haupt ist an
einen Helm gelehnt, auf dem Helme sind zwei Köpfe von Vögeln,
im bedeutenden Schilde zeigt sich ein Falke, und um die Figur geht in
alten Karakteren die Inschrift: Anno domini 1343 4to idus maji obiit dominus
cuno de Valkenstein miles.
Iris, ein Taschenbuch für 1805, herausgegeben von J.G. Jacobi. Zürch,
12. S. 210.
Quelle: Friedrich Gottschalck, Die Sagen und Volksmährchen der Deutschen, Halle 1814