Romeias.
Beinahe vor vierhundert Jahren lebte in Villingen ein Riese, der Romeias hieß, gewöhnlich aber Romäus genannt wird. Er war dort, auf dem Käferberg, geboren, sein Vater nicht groß, seine Mutter eine Zwergin. Wenn er auf der Gasse ging, konnte er in den zweiten Stock der Häuser sehen, und drei hohe Pfauenfedern, die er auf dem Hute zu tragen pflegte, ließen ihn noch größer scheinen.
Eines Tages hatte er auf einen Wagen, der mit einem Paar Ochsen bespannt war, zwei schwere Baumstämme geladen, aber jene konnten die große Last nicht fortbringen. Da lud er die Ochsen zu den Stämmen auf den Wagen und zog dann allein denselben nach Hause.
Als er, zu einer andern Zeit, Rotweil [Rottweil] besuchte, wollten die Einwohner ihn gefangen nehmen und schlossen die Stadtthore. Er aber hob die Flügel eines derselben aus den Angeln, nahm den einen auf die Achsel, steckte den andern, mittelst dessen Henkels, an den Zeigefinger und eilte damit gegen Villingen. Drei Viertelstunden von da blieb er auf einem Hügel stehen und schaute zurück, gewahrte aber keine Verfolger. (Davon hat der Hügel den Namen Guckenbühl.) Alsdann brachte er die Thorflügel in seine Vaterstadt, wo sie, zum ewigen Andenken, an dem dazu erbauten obern Thorthurm eingesetzt wurden.
So groß die Stärke des Romäus, so groß war auch seine Eßlust. Einst kam er in eine Stube, worin niemand war, aber das Essen für sieben Personen auf dem Tische stand. Unverweilt machte er sich darüber her, aß alles rein auf, und als die Leute kamen, fragte er, ob nichts mehr zu essen gebracht werde.
Nachdem er im Kriege viele ritterliche Thaten vollbracht hatte, ließ er sich durch den Uebermuth verleiten, seine Obrigkeit zu schelten. Da niemand sich an ihn wagen wollte, ersann der Stadtrath eine List, um ihn gefangen zu nehmen. Es wurde ihm der Auftrag gegeben, aus dem tiefen Verlies des Michelsthurms etwas zu schaffen, und ihm dafür eine gute Belohnung versprochen. Arglos stieg er hinab, aber sobald er von der Leiter sich entfernt hatte, zog man sie schnell hinauf und schloß ihn in den Thurm ein, der seitdem auch Romäusthurm heißt. Zur Azung des Riesen wurde dann täglich ein Kalb oder ein Schaf in das Verlies geworfen. Als er genug Knochen beisammen hatte, steckte er sie in die Ritze und Löcher der Mauer, stieg auf ihnen, wie auf einer Treppe, hinauf, durchbrach die Balkendecke und gelangte bis unter das Dach des Thurmes. Daselbst fand er eine Menge Stroh, drehte daraus ein starkes Seil und ließ sich daran in der Nacht, zu einer Oeffnung hinaus, auf die Ringmauer. Auf deren Umlauf kam er in die Freistätte von St. Johann, wo er einen der ausgebrochenen Balken im Chor zum Danke niederlegte. Nachdem er sich einige Tage da aufgehalten, gelang es ihm, abends während eines starken Gewitters, über die Ringmauer aus der Stadt zu kommen. Stracks begab er sich vor das feste Schloß Kusenberg und belagerte allein es so lange, bis es sich an ihn ergeben mußte. Auf dieses nahmen die Villinger ihn wieder zu Gnaden an, und begabten ihn mit einer guten Pfründe in ihrem Spitale. Daselbst ist er bis zu seinem Tode geblieben und auch begraben. Sein lebensgroßes Bild, das Wahrzeichen der Stadt, war Jahrhunderte lang an der nun abgebrochenen Mauer beim obern Thore mit folgender Inschrift zu sehen:
Als man zählt 1498 Jahr,
Hat hier gelebt, glaubt fürwahr,
Ein Wundermann Romeyas genannt,
Im ganzen Land gar wohl bekannt.
Nachdem er ritterliche Thaten vollbracht,
Sein Stärke ihn verführet hat,
Fieng an sein Obrigkeit zu schelten.
Deßen mußte er im Thurm entgelten,
Brach wunderlich mit List daraus,
Und floh in St. Johanniser Haus.
Alda noch ein Balken zu finden,
Wagt sich hernach über d'Mauren naus.
Welchen Romeyas dahin tragen konnte.
Belagert Kusenberg das veste Haus.
Das er in wenig Zeit eingenommen:
Daher wiederum Gnad bekommen,
Daß im Spital, bis in das Grab,
Die Herren Pfrund gegeben ward,
Endigt also in Ruh sein Leben.
Gott woll uns allen den Frieden geben.
Quelle: Bernhard Baader,
Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. Karlsruhe
1851, Nr. 82.