Das bessere Gebet
Von einem Einsiedel, der in den helvetischen Landen gewohnet (ich weiß aber nit in welchen Jahren) hab ich mir von einem vornehmen gelehrten Mann erzählen lassen, daß ihn der Weihbischof von Costnitz (Konstanz) besucht hat, um zu erfahren, was hinter ihm stecken möge. Da habe er eine pure Einfalt angetroffen, und als er den Einsiedel gefragt, was er bete, hätte er geantwortet, er bete nur ein kurzes lateinisches Gebet. Als nun der Weihbischof gefragt habe, wie es laute, hätte er geantwortet: o Domine miserere Dei! o Domine miserere Dei! Darauf habe der Bischof gesagt: Du betest nicht recht, sondern mußt sagen: o Domine miserere mei.
Als er nun seinen Rückweg angetreten und über den Bodensee fuhr, sei der Einsiedel auf dem Wasser dem Schiff nachgeloffen, rufend und bittend, man solle ein wenig innehalten, er hätte das Gebet vergessen und wäre wieder auf die alte Redewendung gekommen.
Als aber der Weihbischof das Wunder gesehen, hätte er das Kreuz
über ihn gemacht und gesagt: Gehe hin in Gottes Namen, du kannst
besser beten als ich. Darauf sei der Einsiedel wieder umgekehrt und habe
sich zurück in seine Klause begeben.
Quelle: Grimmelshausen, Des Abenteuerlichen Simplicissimi Ewigwährender Calender, Nürnberg 1670, S. 173