DIE SCHLANGE UND DAS KIND

In Schwandorf bei Nagold gab eine Mutter ihrem Kinde, sooft sie ins Feld musste, einen ganzen Hafen voll Milch und ließ das Kind damit allein im Garten. Da verwunderte sich die Mutter, wenn sie vom Feld heimkam, dass die Milch jedes Mal rein aufgegessen war, wie groß der Hafen auch sein mochte. Das Kind sagte, es käme immer ein Vöglein und esse mit.

So passte die Mutter eines Tages auf und sah, dass eine Schlange aus der Gartenmauer herauskroch und mitaß. Sooft das Kind einen Löffel voll genommen hatte, steckte die Schlange ihren Kopf in den Hafen und trank und so ging das fort, eins ums andere. Dabei wurde die Schlange nicht böse, als das Kind sie mit dem Löffel auf den Kopf schlug und sagte: "Iss et no Ilch, iss au Ickle!" (Iss nicht nur Milch, iss auch Bröckchen.)

Nach dem Essen legte sich die Schlange dem Kind in den Schoß und spielte mit ihm. Als die Mutter nun sah, dass die Schlange dem Kind nichts zuleide tat, ließ sie sie gewähren und gab ihr auch später, als das Kind schon erwachsen war, noch lange Zeit allein täglich ihre Milch.


Quelle: Friedrich Heinz Schmidt-Ebhausen, Schwäbische Volkssagen, 1966