Das Villinger Thalfräule.
Mündlich.
Zwischen Mergentheim und Wachbach liegt das Villinger Thal. Da geht ein
Fräulein um, genannt vom Volke das "Villingerthalfräule"oder
"Fräle". Sie sei eine Gräfin von Wachbach gewesen,
wo nachher die von Adelsheim gewesen sein sollen. Dieses "Edelfräulein"
sei so unbarmherzig, so geizig, so menschenplagerisch gewesen, wie Niemand
in der Welt. Sie habe prächtige Pferde gehabt und ließ sie
tagtäglich mit Wein waschen, wogegen die Dienstboten keinen Tropfen
bekamen. Armen Leuten ließ sie um's Geld stark gewässerte Milch
verabreichen und habe allemal gesagt: "Drei Schoppen Milch, ein Schoppen
Wasser, gibt auch eine Maaß." Auch arg grausam war das "Fräle".
Mal fuhr sie durch's Thal Schlitten, da lag Jemand gerade im Weg. Der
Knecht hielt die Pferde an, es war ein Mann. Seine Herrin rief ihm aber
immer zu: "Fahr' zu, fahr' zu!" Es war ihr um die schönen
Pferde, nicht um den Menschen zu thun. Der Mann wurde überfahren
und starb. Die Gräfin starb bald und muß jezt umgehen. Man
hört sie nächtlicherweile oft rufen: "Fahr' fort, fahr'
fort!"Sie hat auch Freude daran, Leute und ganze Fuhrwerke in Villingerthälisbach
zu führen, damit sie ertrinken; dort ist ein tiefer Gumpen. Sie kommt
als steinaltes Weiblein in altmodischer Kleidung, ist von mittlerer Größe,
redet nie, wenn man ihr begegnet. Im Villinger Thalwald neckt sie auch
die Leute und führt sie irre, trägt Holzbündel davon.
Quelle: Anton Birlinger / Michael Richard Buck,
Sagen, Märchen, Volksaberglauben, Volksthümliches aus Schwaben.
Freiburg im Breisgau, 1861, Nr. 335.