Die Geschichte vom Winthirus

In Neuhausen, das früher ein richtiges Dorf war, heute aber zur Stadt München gehört, steht an der Straße ein gar schönes Brünnlein. Steinsitz und Becher laden zum Verweilen ein; auf einer Säule aber über dem Brunnen sieht man einen Pilgersmann und das ist der heil. Winthirus.

Der lebte vor vielen hundert Jahren auf einem schönen Schlosse in Bayern als der Sohn eines mächtigen Grafen – in Reichtum und Freude. Da kam zu ihnen der hl. Korbinian, um auch sie für die Lehren des Christentums zu gewinnen. Sie aber wiesen ihn hart ab und Winthur sagte: „Wir wollen nicht durch dich aus Kraft in Schwäche geraten und wollen nicht verspottet und verfolgt sein von den Gewaltigen ringsum, die bis jetzt Ehrfurcht vor uns hegten!“

Darauf antwortete der hl. Korbinian: „Weil du meinst, der Glaube bring‘ dir Spott, so soll dir der Unglaube Verfolgung bringen und dich von deiner Höhe herabstürzen. Und weil du meinst, dir stehe nichts an, als dem Mächtigsten zu gebieten, so sollst du froh sein, wenn dir ein armes Bäuerlein recht gibt – und wie du nun aberhundert Felder hast und großen Überfluß, so wirst du dereinst mit Freuden eine harte Krume Brotes essen, und der du gewohnt bist, dich auf stolzen Rossen zu brüsten, wirst einst in tiefster Demut einem armen, schmächtigen Saumtiere das Geleit geben.“

Was der heilige gesagt, traf nicht viel später ein. Winthirs Vater wurde im Krieg erschlagen, er selbst aber gefangen und in den Kerker geworfen. Dort schmachtete er viele Jahre und hatte Zeit, sein früheres Leben zu überdenken. Auch die Worte Korbinians kamen ihm da gar oft in den Sinn und so wurde es allgemach heller und heller in seiner Seele, so daß er innerlich schon ganz zum Christentum hielt. Als er schon nicht mehr daran dachte, je wieder aus seinem Gefängnisse befreit zu werden, entstand draußen ein neuer Krieg unter seinen früheren Feinden. Der Sieger öffnete den Kerker und gab dem Winthir die Freiheit und all sein Eigentum wieder zurück. Dieser aber nahm nur ein rauhes Pilgergewand, einen Stab und ein Saumroß und machte sich auf, zu wallen, bis das Wort ganz wahr geworden, welches ihm St Korbinian dereinst gesagt. So wanderte er fort und fort und ihm zur Seite schritt sein Saumrößlein. Auf das legte er, was ihm der oder jener schenkte, und wo er einen fand, der noch ärmer war als er, da schenkt‘ er’s ihm wieder. Also zog er immer weiter und kam seiner Zeit bis ins heilige Land und an das Grab des Erlösers.

Da träumte ihm einst und er sah eine grüne Ebene in deutschen Landen. Auf der Ebene waren etliche Hütten und Bäume. Drauf meint’ er einen kleinen Hügel und näherher ein Weiherlein zu erblicken – und unweit davon sah er einen großen, alten Baum, an dem war ein rotes Kreuz. Unter dem, meinte er, steh‘ einer im rauhen Gewand wie ein Ackersmann und der wink‘ und nicke ihm zu. So bedünk‘ ihm. Drüber erwachte er, war über diesen Traum ganz erfreut und hielt das Ganze für eine Mahnung des Himmels. Er ließ demnach vom Entschluß, in Palästina zu bleiben, wieder ab, belud sein armes Saumrößlein mit Heiligengebein, geweihten Kerzen und etlichen frommen Bildern; dazu fügt‘ er auch einen guten Sack voll Erde des Bodens, drauf der Heiland gewandelt – dann verstrich nur kurze Zeit und da war er schon auf der Heimkehr begriffen. Er zog von Land zu Land und von Gau zu Gau, bei heißem Sonnenschein und in Sturm, Regen und Schneegestöber – bis er seiner Zeit auf bayrisch Erdreich gelangte. Da war er ganz froh und freudig; denn er meinte – wußt aber selbst nicht weshalb, in Bayern müsse sich sein Traum bewahrheiten.

Und als er da endlich mit seinem Saumtier am Ufer der Isar durch Wald, Busch und Gestrüpp, über grüne Auen und über Steingeröll dahinzog, da sah er mit einemmal – als er wieder aus dem Dunkel eines Waldes heraustrat – das vor sich, was ihm dazumal in heiligen Landen so lebendig geträumt hatte. Da stand er auf einer grünen Ebene, sah etliche Hütten und Bäume, drüben weiter einen Hügel, näherher war das kleine Weiherlein, an einem Baum sah er das rote Kreuz und an dem Baum stand einer in rauher Ackermannstracht. Der sah gerade so aus , wie derselbige im Traum – nur daß er noch nicht winkte und nickte, aber freundlich herüberschaute. Über all dies fuhr große Freude in das Herz des Winthirus, so daß er sich auf die Knie warf und die Arme gegen Himmel dehnte. Da sah der andere stets fester her; denn er meinte, da sei einer, den das Unglück in die weite Welt gestoßen habe. Das regt‘ ihm sein ganzes Erbarmen auf, so daß er die Hand erhob und dem Winthirus ein Zeichen gab, heranzukommen; auch nickte er mit dem Haupt, als sage er: „Zaudere doch nicht länger und vertrau, da wiederfährt dir nichts.“ Nun konnte sich der Winthirus nimmer halten. Er erhob sich, schritt auf jenen zu und sagte: „Was winkst du mir so freundlich; weißt du denn, was mich zu dir treibt?“ Sagte der andere: „Möchte’s wohl erkennen. Gram, Furcht und Hunger. Denn ich sehe deine Freude, daß dir mit deinem mageren Saumtier etwa geholfen werde. Das soll wohl sein, das will der Herr, den wir anbeten, ich und ihrer noch fünf. Die sollen dir nichts zu leid tun, sondern Gutes; denn wir sind sämtlich Christen.“

Tiefgerührt ging nun Winthirus mit dem Alten und der führte ihn auf die Hütten der Seinen zu. Unterwegs lauschte das Bäuerlein den Worten des frommen Pilgers, und da es dabei viel Heiliges vernahm, was es im Herzen längst empfunden, so nickt‘ es ihm gar oft in stiller Seligkeit zu. So war auch des Korbinian prophetisches Wort vom selben Bäuerlein recht getroffen.

Über all dies kamen sie zu den Hütten. Der Winthirus ward mit Freud‘ und Ehrfurcht aufgenommen; was er Reliquien auf seinem Saumrößlein mitführte, benebst demselben Sack voll Erde von Jerusalem, das alles lud er ab und teilte dem und jenem unviel später davon mit. Etwas Weniges davor streute er dort und dahin, wo das Land am fruchtbarsten war. Das andere aber behielt er für sich und auf künftige Zeit, siedelte sich auf dem grünen Hügel an, den er im Traum gesehen hatte; darauf lebt‘ und lehrte er noch viele, viele Jahre, legte schier alle zur Erde, die ihn gastlich aufgenommen, und sorgte für ihrer Nachkommen Heil – bis auch seine Zeit herankam und er in Gott von hinnen schied.

Da trugen die Engel seine Seel‘ gen Himmel. Sein Irdisches legte man auf den Rest selb heiliger Erde und begrub ihn weinend im Kirchlein auf dem grünen Hügel. Das hatte er gar schlicht auferbaut mit jenen ersten Christen, zu denen er auf wunderbaren Wegen geführt worden war.

Das ist die Kunde vom Winthirus.

Quelle: Nach Dr. Franz Trautmann, Das Plauderstüblein, S. 8. (Augsburg, Verlag v. M. Seitz.).
Altbayerische Sagen, Ausgewählt vom Jugendschriften-Ausschuss des Bezirkslehrervereins München, München 1906.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2013. 
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