Der Goldschmied am schönen Turm
Wo zu München die Kaufingergasse zu Ende geht, stand in früheren Zeiten der schöne Turm. Davon geht eine düstere Kunde.
Unviel nach Kaiser Ludwigs des Bayers Zeiten lebte ein Goldschmied zu München. Selbiger hatte seine Werkstatt zur Rechten vor dem schönen Turm, war in seiner Sache ein tüchtiger Meister und in all seinem bürgerlichen Wandel ein stets ehrengeachteter Mann.
Da kam einst ein vornehmer, fremder Herr zu ihm, brachte ihm etliches kostbares Geschmeide und verlangte, er solle ihm ein gleiches verfertigen. Dazu verstand sich der Goldschmied mit Freuden und ging alsbald ans Werk.
Es war aber Sommerszeit.
Wie nun der oder jener, so öffnete auch der Goldschmied sein oberes Fensterlein, hatte das Geschmeide dort vor sich liegen und schaffte am neuen tapfer fort und fort.
Als er da eines Tages von der Mahlzeit in die Werkstatt zurückkam, sah er mit Schrecken, daß ihm sämtlich das fremde, anvertraute Gut fehlte, und da half kein Suchen und Fragen. Es war einmal weg und spurlos verschwunden.
Nächst eilte er in größter Verzweiflung zum vornehmen Herrn und gab ihm von seinem Unglück Bericht. Den bedünkte die Sache ganz sonderlich – und in kurzem kam sie schon vor die Richter.
Weil sich nun erwies, daß die Türe an der Werkstatt nicht erbrochen worden, auch niemand, ob ein noch so kühner, imstanden gewesen sei, von offener Gasse aus und hoch herab zum Kleinod zu gelangen, wurden die Richter der Meinung, es sei sämtliches nur eine List des Goldschmiedes. Sie nahmen sofort an, er habe das Gut beiseite geräumt und zu München verborgen oder es im Einverständnis mit einem anderen von hier weggebracht – wie denn auch einer an Ort und Stelle gewesen war, der sich beim Goldschmied zu tun gemacht hatte. In kurzem, der Goldschmied mochte leugnen, beteuern und beschwören, was er wollte, zuletzt kam’s doch so, daß er für schuldig erklärt wurde, und dazu ward ihm das Todesurteil gesprochen.
Da ward er an seiner Werkstatt vorüber und durch den schönen Turm, unterm Geläut einer kleinen Glocke, die er selbst in früherer Zeit verfertigt hatte, zum Hochgericht geführt.
Zum selben Glöcklein soll er seinen Blick gerichtet und gesagt haben: „Meine Stimme verhallt und kein Mensch glaubt mir. So wahr aber jedweder meines Glöckleins Klang vernimmt, so sicher kommt meine Unschuld noch an Tag. Dann ist’s aber für euch zu spät!“
Als er auf dem Hochgericht ankam, beteuerte er seine Schuldlosigkeit noch mehrmals aufs heiligste. Aber es war alles vergeblich. - -
Wie er nun schon etliche Wochen nimmer lebte, fügte sich’s, daß es dort und da am schönen Turm fehlte. Da fanden sich die Werkleute an und legten Hand an.
Einer derselben, welcher beim Tod des Goldschmiedes zugegen gewesen und über dessen letzte Beteuerung gespottet hatte, weil er von rauhem Gemüt war, machte sich am rechten Erkertürmlein ganz in der Höh‘ zu schaffen, erinnerte sich an des Goldschmieds Worte, sah dabei auf das Glöcklein hin, welches in Mitte des Turmes zu öberst hing und sagte: „Nun wär’s bald Zeit, daß du deine Pflicht tätest, sonst strafst du deinen Meister Lügen!“
Dazu lachte er und hob mit seiner Arbeit am Erkerfensterlein an.
Kaum er da ein paar Würfe mit der Kelle getan hatte, flog eine Dohle aus dem Dacherker.
Dachte er sich: Die hast du aufgescheucht, und da drin hat sie ihr Nest und Behausung! Wie er aber dabei hineinschaute, glaubte er etwas schimmern und glänzen zu sehen – und als er näher und schärfer schaute, lag da drin ein herrliches Geschmeide – das glich dem ganz, von welchem er des Goldschmiedes wegen so viel gehört hatte.
Als er dessen und seines Spottes von vorher eingedächtig war, kam solcher Schrecken über ihn, daß er schier umsank und daran war, vom Gerüst zu stürzen – gerade, daß er sich noch festhielt. Drauf stieg er zitternd über die Leiter herab, in den zweiten Gaden – von da ganz darnieder zum Oberrichter und meldete dem, was er gesehen.
Da wollte ihm der Oberrichter keinen Glauben schenken, stieg aber doch mit mehreren anderen von innen den schönen Turm hinauf, nächst bis zu allerhöchst – da fand er alles, wie berichtet, nahm das Geschmeide auf und trug’s darnieder und ins Richterhaus. Da fand sich der vornehme Herr alsbald ein und bestätigte zu völliger Gewißheit, das Kleinod sei jenes, welches er früherhin dem Goldschmied gegeben habe. In kurzem, es stellte sich sonnenklar heraus, daß die bewußte Dohle beim Goldschmied durchs Fensterlein geflogen und ihm, des Glanzes wegen, das Kleinod entführt – der Goldschmied aber unschuldigerweise das Leben gelassen habe. Anbei erinnerte man sich der Worte, die er zuletzt gesprochen, und erkannte, wie wunderbare Schickung es sei, daß gerade in des Glöckleins Nähe und durch einen solchen die Unschuld zutage gekommen sei, welcher den Meister noch im Grabe verspottete.
Über all dies war jeder zu München, und so weit die Kunde erging, aufs tiefste ergriffen. Was Gutes geschehen konnte, des Goldschmieds Andenken zu ehren, das geschah. Auch ward sein Irdisches aus unehrlichem Grab erhoben und feierlich bestattet, wie’s heißt, am Kreuzkirchlein. Mehr ließ sich aber nicht richten und schlichten bei allem guten Willen – denn wie der Goldschmied gesagt hatte, so war’s.
Seine Unschuld war an den Tag gekommen – aber nun war’s für die Richter zu spät.
Quelle: Trautmann, Münchner Stadtbüchlein.
Altbayerische Sagen, Ausgewählt vom Jugendschriften-Ausschuss des Bezirkslehrervereins München, München 1906.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2013.
© digitale Version: www.SAGEN.at .