Der Schäfflertanz

In alten Zeiten regierte in der Stadt München eine große Pest, der schwarze Tod, so daß die Menschen nicht nur in ihren Häusern dahinstarben, sondern selbst in den Gassen plötzlich tot niederfielen. Keine Hilfe und kein Mittel wollte das Übel vertreiben. Da erkannte man endlich, daß dieses Sterben von einem giftigen Lindwurm herkomme, der in einem Brunnen am Eck der Weinstraße hausete und dessen giftiger Hauch die Luft verpestete. Es gelang, diesen Wurm aus dem Brunnen herauszulocken und ihn zu töten. Von diesem Untiere hieß noch lange Zeit das Eckhaus gegen den Marienplatz zu das Wurmeck und zum Gedächtnis ist der Lindwurm dort abgemalt. Obgleich aber nach Tötung des Untieres die Seuche abnahm, so waren doch die Furcht und der Schrecken noch so groß, daß lange kein Mensch aus dem Hause zu gehen sich getraute und von auswärts niemand in die Stadt zu kommen wagte.

Da faßten zuerst die Schäffler wieder Mut, zogen mit Trommeln und Pfeifen vor die Häuser und führten mit grünen Reifen Tänze auf, um das Volk zu erheitern und wieder Leben in die Stadt zu bringen. Seitdem wurden zum Andenken diese Tänze alle sieben Jahre zur Fastnachtszeit wiederholt; jetzt tanzen die Schäffler allerdings nur noch zum Glockenspiel im Rathausturm.

Wer von auswärts sich zuerst wieder in die halb entvölkerte Stadt hereinwagte, das war eine Bauernfrau mit Eiern in ihrer Butte. Deshalb war früher beim Schäfflertanz auch die Gretel mit der Butten dabei. Diese war ein Lustigmacher, der vier Karten-Aß auf dem aufgekrämpelten Hute hatte, eine ausgestopfte Frau in einer Butte auf dem Rücken trug und eine lange Wurst in der Hand hielt, die er den neugierigen Buben um das Maul schlug. Dazu wurde bei Trommeln und Pfeifen das Lied gesungen:

„Gretel in der Butten,
Wie viel gibst Du Oa?“
„I gib nicht mehr, i gib nicht mehr
Als um a’n Batzen achte,
Und um a’n Kreuzer zwoa.“
„Gibst du mir nöt mehra,
Als um a’n Kreuzer zwoa,
So b’halt du no dein‘ Butten,
Und alle deine Oa.“

Quelle: Nach J.M. Mayer, Münchner Stadtbuch 1868, S. 560.
Altbayerische Sagen, Ausgewählt vom Jugendschriften-Ausschuss des Bezirkslehrervereins München, München 1906.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Norbert Steinwendner, Dezember 2013. 
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