Zwergenhöhle bei Naila
Zwischen Selbitz und Marsreuth liegt das Dorf Naila, dort wohnten in einer noch vorhandenen Höhle vor ein paar hundert Jahren Zwerge; das Loch ist noch da, aber die Zwerge sind fort. Ein Bauer des Namens Kohmann ackerte mit zwei Pferden auf seinem Felde, und sein Weib brachte ihm ein neugebackenes Brot zum Frühstück, das sie, in ein Tüchlein gebunden, am Rain niederlegte und dann in das Gras ging. Da trat zu dem Ackersmann ein Zwergweiblein dar und sagte: Du bist noch nicht hungrig, aber meine Kinder sind hungrig; mein Brot ist noch im Backofen, leihe mir das deine für meine Kinder, bis Mittag will ich es dir erstatten. – Der Bauer überließ dem Weiblein gern das Brot und geduldete sich bis Mittag, war aber doch neugierig, ob sie Wort halten werde. Und siehe, sie kam auf den Punkt, als das Mittagsglöcklein im Dorfe ausgebimmelt hatte, brachte in einem schneeweißen Tüchlein einen noch warmen Brotkuchen und sagte: Nimm und iß es ohne Scheu, das Tuch lasse liegen, ich hole es schon ab. Wir sehen uns dann nicht wieder – die Welt wird ungut. Ihr flucht und schwört je mehr und mehr, ihr lauft in aller Sonntagsfrühe heraus auf eure Felder, die Früchte zu beschauen, ihr errichtet ein Hammerwerk nach dem andern, es ist des Schlagens und Pochens kein Ende – so müssen wir den Ort verlassen, wo wir so lange bequem gesessen. – Damit ist sie hinweg und nicht wiedergekommen; ob der Bauer im Brote oder dem Tüchlein etwas gefunden habe, wird nicht gemeldet.
In das Zwergloch bei Naila sind einmal an einem Sonntagnachmittag unterschiedliche junge Bauernbursche gekrochen mit brennenden Schleißenspänen; da kamen sie durch einen Gang, der maß in paar Ackerlängen, dann in eine mannshohe Grotte mit vielen kleinen Türlein an den Seiten, wie Kämmerchen, und da grausete es sie alle mit einem Male mächtiglich, und eilten heraus, und sind ein paar Tage übel aufgewesen.
Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch. Leipzig 1853, Neuausgabe Meersburg und Leipzig 1930.