255. Der Bock- oder Obreiter von Schattwald.
Aus dem Tannheimertal war einmal ein Bursche als Maurer in die Fremde
gezogen und stand in Holland in Arbeit. Eines Abends saß er mit
mehreren Kameraden in einem Wirtshause, und im Laufe der Unterhaltung
warf er auch die Äußerung hin: "Morgen hat ein Vetter
von mir in Nesselwängle Hochzeit; ich gäbe gerade einen Katzentaler,
wenn ich dort wäre." Da kam über eine Weile ein altes Weib
herein und sprach: "Behauptet der Mann noch sein Wort mit dem Katzentaler,
den er zahlen will, wenn er bis morgen im Tannheimertal ist?" "Jawohl
behaupte ich es," erwiderte der Maurer, und nun bestellte ihn die
Alte bis kurz vor zwölf Uhr nachts auf einen bestimmten Platz. Der
Tannheimer ging zur rechten Zeit dort hin, und auch das Weib traf dort
ein und brachte einen Geißbock mit. Nun mußte er sich auf
den Bock setzen, aber hinterfür, und die Alte warnte ihn eindringlichst,
nie umzusehen und auch nie zu reden, wenn ihm seine geraden Glieder lieb
seien und nicht alles fehlschlagen solle. Kaum saß der Maurer recht
auf dem Bocke, so ging es mit ihm holops in die Lüfte und die ganze
Nacht fort über Tal und Tor und fremdes Land. Als aber der Morgen
graute, gewahrte er plötzlich, daß er in der Nähe von
Nesselwängle schwebe, und erkannte deutlich die dortige Schießstätte,
und erfreut rief er: Halt! Da warf es ihn herab, weil er geredet hatte,
und vom Falle brach er sich ein Bein und blieb dann zeitlebens krumm.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers
"Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus"
ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 255,
S. 264f.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.