66. Geistende Hirten.
Auf dem Einödberge
unweit der Mädeler Gabel stand einstens ein Hirt im Dienst, der sehr
lässig und unachtsam war, so daß ihm eines Tages eine Kuh,
die zudem noch einer armen Witwe gehörte, "verfiel". Anstatt
sich nun den selbstverschuldeten Unfall zur Warnung sein zu lassen, lachte
der Hirt hellauf, als er die Kuh den steilen Abhang "hinunterbocken"
und sich ein ums anderemal überschlagen sah. Dafür hat aber
der gewissenlose Hirt nach seinem Tode keine Ruhe finden können und
mußte als Geist die Kuh den steilen, hohen Bergabhang mit unbeschreiblicher
Anstrengung hinauf tragen und schleppen. Sobald er aber oben war, kam
sie ihm aus und kollerte wieder herab, und dann mußte er darob fürchterlich
lachen, daß es weithin schallte. Darauf sprang er wieder den Berg
hinab um die Kuh von neuem hinaufzuschleppen. So ging es in einem fort,
und weil nun darob eine große Unruhe in die Alpe gebracht wurde,
so wollte zuletzt kein Hirte mehr bleiben. Auch fing es in der Hütte
an zu geisten, und darum ließ man endlich einen Kapuziner von Immenstadt
kommen, daß er den Geist verbanne. Nach langem Lesen und Benedizieren
gelang es auch dem Pater den Geist zu beschwören, der nun aber seinerseits,
bevor man ihn verbanne, nach dem "Fürwitz" verlangte. Da
überließ man ihm statt dessen eine alte Geiß, die er
sogleich "in Fetzen zerriß"; darauf beschwor ihn der Kapuziner
auf die wilden und unzugänglichen Schrofen der Trettachspitze.
Wer dieser "Fürwitz" eigentlich gewesen wäre, nach dem der Geist verlangte, weiß man nicht; aber einige meinten, das sei jedenfalls "Hatscherles Kaschpa" gewesen, denn der habe bei der Beschwörung "verstohlen zugeschaut" und sei auch sonst immer so "siebengescheit" gewesen, daß man ihn oft den "Fürwitz" geheißen habe.
2.
Im Fanach, einer Alpe bei Staufen, sah man jedes Jahr in der Zeit zwischen
Matthäus und Gallus einen Geist in grünem Gewände von der
Ebene gegen den Schrofen hingehen. Er trieb ganz hastig eine Kuh und ein
Kälblein vor sich her. Am Schrofen angelangt, warf er das Kälblein
hinunter, die Kuh aber stürzte nach. Kaum aber war dies geschehen,
so erblickte man ihn wieder auf der Ebene, dem Schrofen zueilend und die
Kuh mit dem Kälblein vor sich hertreibend. Am Schrofen angelangt,
warf er wieder das Kälblein hinunter, und die Kuh stürzte nach.
Es war dies ehedem entweder ein Jäger, ein rechter Wüterich
gegen Vieh und Leut', oder ein recht grausamer Senn, der das Vieh mißhandelte
und deshalb geisten mußte.
3.
Am "Sibelerberg" bei Roßschläg zwischen Pflach und
Musau hatte einstmals ein Hirt öfters Vieh einen steilen Berghang
hinabgesprengt in der Absicht, daß dasselbe ausgleite und dann den
Berg und die Wände hinab "kugle", und hatte seine größte
Freude daran, wenn es sich dabei recht oft überstürzte und recht
große "Jück" machte. Auf solche Weise "verfiel"
manches Stück. Zur Strafe für diese seine Grausamkeit mußte
er nach seinem Tode geisten und kugelt seitdem wie ein Sack den Berghang
und Schrofen herab. Ist er herunter, so steigt er weinend wieder den Abhang
hinauf, fängt, oben angekommen, zu jauchzen an, wirft sich dann nieder
und kugelt wieder herab, und so in einem fort.
4.
In den Bergmähdern hinter Steeg im Lechtal, welche nahe an einer
Alpe lagen, hörten die Leute schon seit Menschengedenken bei Hellem
Tage abwechselnd Weinen und Lachen und sahen hie und da auf dem Bergabhange
eine Gestalt, von welcher dasselbe ausging. Man nannte dieselbe insgemein
den Alpenputz. Im Spätherbste, nachdem Senner und Wildheuer schon
abgezogen, war einmal noch ein Mann allein in der Sennhütte zurückgeblieben
um Fässer zu binden, welche er für den aus Enzianwurzeln gewonnenen
Branntwein benötigte. Eines Tages blickte er eben zum Fenster hinaus
und sah den Alpenputz auf die Hütte zukommen. Voll Schrecken verkroch
er sich hinter seine Fässer. Der Geist trat ein und blieb beharrlich
mitten in der Stube stehen, so daß dem Faßbinder am Ende nichts
übrig blieb, als mit einem herzhaften "Alle guten Geister loben
Gott den Herrn!" hervorzurempeln. Nun machte ihm der Alpenputz die
Mitteilung, er sei einst Hirte auf dieser Alpe gewesen und habe durch
seine Schuld einer armen Witwe einzige Kuh, weil sie immer allein seitwärts
ging und ihm viel Verdruß machte, zu Tode fallen lassen, indem er
ihr Baumrinden legte. Auf die Frage, ob man nichts für ihn tun könne,
antwortete er verneinend, da die Familie der Witwe lange schon ausgestorben
sei. Er sei verurteilt, die Kuh hinaufzutragen und dabei zu weinen und
sie dann hinunterzuwerfen und laut zu lachen; hundert Jahre habe er schon
getragen, dreißig müsse er noch tragen. Er bitte nur um das
eine, daß die Leute im Sommer in den Bergmähdern nicht so hell
und fröhlich "juchezen" möchten, denn es tue ihm unsäglich
wehe. Dann verschwand er und wurde seit der Zeit nicht wieder gesehen.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen,
Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt
von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 66, S. 68 - 71.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.