165. Das Muetas in einer Staufner Alpe.

In einer Galtalpe in den Oberstaufner Bergen - den Namen hat der Erzähler vergessen - kam das Muetas früher häufig und hauste dann jedesmal arg unter dem Vieh, das es oft mit fortnahm. Da fand sich dagegen ein Mittel. Man übergab dem Hirten beim Alpzug im Frühjahr ein eigenes Gebet, das man ihm auf einem Zettel aufgeschrieben hatte, und das er jedesmal herunterlesen mußte, wenn das Muetas kam. Dabei mußte er sich so über die Schwelle stellen, daß der eine Fuß draußen, der andere drinnen stand. So mochte es dann noch so sehr toben und wüten, dem Vieh und den Menschen vermochte es nichts anzuhaben. Da war nun einmal ein Kamerad des Hirten in der Hütte über Nacht geblieben, als beide das Muetas wieder herannahen hörten. Nun hätte der auch gern die Kunst probiert und sprach zum Hirten: "Laß mich diesmal den Spruch herablesen! Ich will sehen, ob ich's auch fertig bringe." Der Hirt war damit einverstanden; aber kaum hatte jener zu lesen begonnen, so tat sich die Wand auf, und es grinste ein fürchterlicher Kopf mit schrecklich wilden Augen herein, daß jener ohnmächtig hinfiel und niemals mehr Lust hatte bei derartigen Dingen allzu fürwitzig zu sein.

Wenn übrigens das Muetas durch die Alpe zog, hörte man nicht selten aus dem Zuge einen wunderschönen Gesang und herrliche Musik; aber einmal kam es auch vor, daß es einen großmächtigen Felsblock aus dem Boden herausriß und eine Strecke forttrug, bis es ihn wieder fallen ließ.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 165, S. 172.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.