107. Das Muetesheer bei Rettenberg.

Bei Rettenberg und Vorderburg zog in früheren Zeiten öfters das Muetesheer durch. Es fuhr einige Schuh über dem Boden dahin und nahm mit, wen es antraf, wenn man sich nicht zu Boden legte und so sich versorgte. Ein Rettenberger ward zum Beispiel einmal, weil er das unterlassen hatte, erfaßt und in den Lüften von der Gottesackerkapelle unweit des Dorfes bis gegen Immenstadt fortgetragen, wo es ihn dann wieder fallen ließ.

Ein anderer hörte auch einmal das Muetes kommen und vernahm dabei so wunderliche Musik, daß er vor lauter Zuhören vergaß, sich niederzulegen. Da nahm es ihn weit in den Lüften dahin, ohne daß er recht wußte, was alles mit ihm vorging. Auf einmal aber gewahrte er, daß er in einem großen, prächtig beleuchteten Saal sei, wo die herrlichste Musik aufgespielt wurde und eine Menge schöner Leute waren, die sich belustigten. Weil ihm aber die Musik gar so überaus wohl gefiel, gab man ihm eine gläserne Pfeife, er solle auch mitblasen. Obgleich er nun nie Musik gelernt hatte, so probierte er es doch, und siehe, da ging es ganz leicht und stimmte gar prächtig zu der übrigen Musik. Lange dauerte das so fort; als aber am Morgen die Betglocke erklang, verstummte plötzlich alles, und der ganze Saal mit all den schönen Leuten und all der Herrlichkeit war wie auf einen Schlag verschwunden. Er aber befand sich in einem fremden, großmächtigen Moos, und anstatt der vermeintlichen gläsernen Pfeife hatte er nun einen Katzenschwanz im Munde.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 107, S. 116.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.