111. Der Gretler von Schattwald.

In Schattwald lebte im vorigen Jahrhundert ein Wildschütze, den man den Gretler hieß, und der alle Teufelskünste los hatte. So konnte er sich "verblenden" und sich in einen "Stock" verwandeln, wenn ihm gerade ein Jäger zu nahe kam. Einmal kam es sogar vor, daß ein Förster, als er sich wieder zu einem Stock verwandelt hatte, auf ihn sich niedersetzte und anfing sein Brot zu essen. Der verzauberte Gretler hatte damals große Angst, der Förster möchte etwa das Messer, mit dem er sein Brot schnitt, in den Stock stecken; denn dann wäre dies in seinen Leib gegangen.

Auch das Bannen verstand er, und einen Förster bannte er einmal mitten auf einem Waldwege, daß er keinen Schritt mehr vor- oder rückwärts konnte. Der Gretler aber ging ruhig seines Weges weiter, und als ihm hernach ein Mann begegnete, ersuchte er diesen, er möge dem Förster, wenn er ihn treffe, sagen, jetzt könne er wieder fort. Der Mann tat dem so, und sogleich war der Mann aufgehoben, und der Förster konnte wieder weiter. Natürlich "stellte" er am liebsten und öftesten das Wild, das er dann bequem und mühelos erlegte; selbst die Fische im Wasser wurden von ihm beliebig gebannt und dann gefangen.

Als zu Kriegszeiten einmal Kaisersoldaten, die gegen Bregenz zogen, durch das Tannheimer Tal kamen und den Auftrag hatten, alle kräftigen und schönen Männer mitzunehmen, daß man sie beim Militär einreihen könne, verwandelte er sich um diesem Schicksal zu entgehen, so oft seiner ein Offizier ansichtig wurde, in einen katzgrauen alten Mann und blieb dadurch wirklich auch frei.

Für gewöhnlich hatte er ein kleines Säckchen bei sich; in dem war ein Hummel, und diesen nannte er nur den "Jordan ", war aber der Teufel. Zu Hause bewahrte er ihn gewöhnlich im Gaden in einem Büchslein auf. Einmal wandelte ihn aber doch ein Vorsatz zur Besserung an, und so wollte er mit dem Teufel brechen, trug das Säckchen mit dem Hummel zum Fallstrudel und warf es die Schlucht hinab. Als er aber wieder nach Hause kam, war der Jordan schon wieder in der Stube hinter dem Tisch.

Der Gretler blieb verstockt sein ganzes Leben lang, starb aber auch "unversehen". Unter dem Kopfkissen fand man hernach die Schrift, durch die er sich dem Teufel verschrieben hatte.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 111, S. 119 - 120.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.