74. Der Stüzlhans bei Bachtel.

Es ist noch nicht so arg lange her, da hielt sich in dem Walde auf dem Stüzl zwischen Wildberg und Bachtel, durch den die Straße von Görisried nach Nesselwang führt, der Stüzlhans auf. Man sah ihn zwar nur selten, aber um so öfter machte er sich bemerkbar durch wildes Lärmen und Getöse. Er trieb es in dem Holze oft gar arg, so daß man ihn allgemein fürchtete und den Weg zur Nachtzeit möglichst mied.

Als einmal ein Wildberger spät von einer Hochzeit heimkehrte und in den Wald kam, entstand plötzlich ein so fürchterliches Tosen und Stürmen, Krachen und Gepolter in den Tannen, als ob alle Äste und Bäume mit einem Male abgeknickt und abgebrochen würden, und dann "hagelte und prasselte es ganz entsetzlich nacheinander hinauf am Stüzl", daß der Mann den damals ausgestandenen Schrecken seiner Lebtag nicht mehr vergaß und hernach oft erzählte, wie schnell ihm da sein "Stieber" - denn ein bißchen sei er freilich vom Weine angeheitert gewesen - vergangen, und wie schnell er nüchtern geworden sei.

Ganz Ähnliches erlebte ein anderer Wildberger einmal, als er zur Nachtzeit für einen Kranken zum Doktor nach Nesselwang wollte. Er geriet dabei so in Furcht und Schrecken, daß er davon schwer erkrankte und lang darniederlag.

Ein andermal war es, daß in der Nähe ein Hirte das Vieh hütete. Als sich in der Nacht die ganze Herde gelagert und er ein Feuer angebrannt hatte, ging "der Teufel auf einmal im Walde los, und begann der Stüzlhans seine Geschichten". Es fing an zu toben und zu krachen in dem Geäste, als würden die Tannen allesamt niedergemacht und "die Welt abgebrochen". Dann war es plötzlich, wie wenn in das Hirtenfeuer ein Blitz führe, so stoben die Funken und die Glut auseinander. Das Vieh aber, das vorher ganz ruhig und friedlich gewesen war, wurde "hert narret" und sprang nach allen Seiten wild auseinander, so daß es große Mühe kostete es wieder zusammenzubringen.

Auch die Fuhrleute hatten in dem Walde zuweilen Anstände, daß die Rosse nicht mehr gehen wollten und "sich fürchteten", sobald sie den Stüzlhans merkten.

Manche glaubten früher, der Stüzlhans habe zu Lebzeiten Holz gestohlen und müsse nun dafür geisten und nächtlich Holz fällen.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 74, S. 77 - 78.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.