Der Kelch des hl. Laurentius
Die Sterbestunde Kaiser Heinrichs war gekommen. Im Benediktinerkloster auf dem Michelsberg zu Bamberg stand ein Mönch vor der Zelle. Zu seinem Schrecken sah er eine große Anzahl Teufel mit grausigem Getöse vorüberziehen. Beherzt fragte er einen von ihnen, wohin sie des Weges zögen. Da vernahm er mit Grauen, dass sie zum Sterbebett des Kaisers eilten, um sich einen Anteil an seiner Seele zu sichern.
Der Mönch, des frommen, christlichen Lebenswandels Heinrichs eingedenk, konnte sich die Anwesenheit dieser höllischen Geister an seinem Sterbelager nicht erklären. So packte er einen der Teufel und sprach zu ihm: "Gehe hin und verrichte dein scheußliches Handwerk, soweit Gott es dir zulässt! Wenn du deinen Willen vollbracht hast, so beschwöre ich dich bei dem lebendigen Gott, kehre zu mir zurück und erzähle den Ausgang eures Handelns!"
Die Teufel schwirrten davon und kamen an das Sterbelager Kaiser Heinrichs. Wie sehr sie sich auch bemühten, es gelang ihnen nicht, auch nur den geringsten Teil der kaiserlichen Seele zu gewinnen. Schmählich enttäuscht, mit Schimpf und Schande mussten sie weichen.
Der eine aber, der vom Mönch beschworen war, kam zitternd vor dessen Klause und berichtete den Hergang:
"0 wehe, wir sind verachtet, verspottet und mit Lachen in die Flucht
getrieben worden! Die Engel Gottes und wir standen an der großen
Waage, in der die guten und die bösen Taten des Kaisers abgewogen
werden sollten. Wir bemühten uns, aus dem Leben Heinrichs ein schweres
Gewicht für unsere Seite zu türmen. Die Engel aber standen tatenlos
dabei. Sie wussten, dass ihnen die fromme, demütige Seele Heinrichs
schließlich doch zufallen musste. Wir zogen mit aller Kraft. Schon
wollte sich die Waagschüssel neigen. Da erschien ein gebratener Mann,
angetan mit feierlichem Priestergewand. Er warf einen großen, goldenen
Kelch auf die Gegenseite, so dass sie tief, tief sank. Darauf hauchte
der Kaiser seine Seele friedlich aus und die Engel nahmen sie mit sich
fort."
Quelle: Andreas Haupt, Die schönsten Bamberger
Sagen und Legenden, Bamberg 1877, neu herausgegeben von Gerhard Krischker
2002, S. 63 - 65.