Wie der Alberer einen Geizhals kuriert hat
Alle hundert Jahre einmal macht sich der Alberer auf den Weg und durchstreift das Inntal. Da will er die Menschen auf die Probe stellen, und ganz besonders auf die Geizigen hat er es abgesehen. Ihnen will er ihren Geiz austreiben und sie bestraft er auch. Den Armen aber schickt er Hilfe auf wunderbare Art.
Unterm Heuberg hat der Buchberger-Bauer einen der schönsten Höfe gehabt. Er ist ein stattlicher, selbstbewußter Mann gewesen, aber geizig. Drüben in Birkenstein hat er einen Vetter wohnen gehabt. Der aber ist ein Kleinhäusler gewesen und hat auf einem armseligen Bauerngütl so recht und schlecht gehaust. Und nun hat ihn auch noch Unglück im Stall in arge Bedrängnis gebracht.
Der reiche Buchberger hat von diesem armen Verwandten eines Tages eine Bittschrift erhalten. Um ein Darlehen hat der Birkensteiner ihn angegangen. Dazu hat er schlecht "nein" sagen können, obgleich er bezweifelt hat, daß er von jenem ihm geliehenes Geld jemals wieder zurückerhalten würde. Davor hat er Angst gehabt, denn es hätte ja seinen Reichtum ein bißchen schmälern können. Aber schließlich hat der Buchberger doch einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden: Er hat seine schlechtesten Pfennige zusammengekratzt und in einen Beutel gesteckt. Dabei ist ihm der Gedanke gekommen, daß er ja mit der Hingabe dieses Geldes auch ein wenig für sein Seelenheil tun würde, und dafür hat man halt auch was tun müssen, und wenn er das Geliehene nicht mehr kriegen würde, so täte es doch im Jenseits für ihn eine gute Wirkung und ist somit doch nicht ganz umsonst ausgegeben worden. Obendrein hat er sich gesagt: "Da gehe ich gleich zur Madonna von Birkenstein in die Wallfahrtskapelle, damit sie sieht, was für ein guter und frommer Mensch ich bin." Und wenn er, der Buchberger, das Darlehen persönlich dem Vetter bringt, wie muß er da wohl angesehen vor der Verwandtschaft dastehen!
So hat er sich also auf den Weg gemacht, den Beutel mit dem Geld fest in der Hand haltend. Wie er da an den Inn gekommen ist, da war von der Fähre und auch vom Fährmann weit und breit nichts zu sehen. Der ist aber doch sonst immer an dieser Stelle bereit gewesen, jeden für ein paar Kreuzer überzusetzen! Da hat der Bauer ein paarmal durch die hohlen Hände geschrien: "Hol über!" Es ist aber keine Antwort daraufgekommen und die Fähre ist verschwunden geblieben.
Ratlos und ärgerlich ist der Buchberger-Bauer dagestanden und hat den Inn hinauf- und hinunter- und auch hinübergeschaut. "Da kommt ja endlich einer!" hat er nun vor sich hingesagt, denn am Ufer entlang ist ein großer, und wie es ausgeschaut hat, kräftiger Mann dahergegangen. Der hat eine weite Kotze umhängen gehabt und auf dem Kopf hat er einen Schlapphut aufgehabt mit einer so breiten Krempe, daß man sein Gesicht gar nicht richtig erkennen hat können. Der Fremde hat den Buchberger gleich angeredet: "Wohin möchtest du denn? Und was hast du vor?" Der Bauer hat ihm Auskunft gegeben und dabei auch erwähnt, ein wie weiches Herz er habe, und daß er deshalb halt jetzt dem Vetter helfen möchte. Der Fremde hat darauf, wie dem Bauern vorgekommen ist, ekelhaft gegrinst. Aber wie jener ihm angeboten hat, ihn ans andere Ufer hinüberzubringen, da ist er halt doch sehr froh gewesen und hat gleich eingewilligt.
Kaum haben die beiden ausgeredet gehabt, da ist auch schon ein Kahn vor ihnen im Wasser gelegen und der Fremde hat ihn halb ans Land gezogen und sie sind eingestiegen. "Da fehlen ja die Ruder!" hat sich der Bauer gedacht. Doch das Schifflein ist schon, wie von kräftigen Armen getrieben, über die Wellen dahingeglitten. Sie sind gar nicht mehr weit vom anderen Ufer weg gewesen, als der unheimliche Fährmann aufgestanden ist, und er hat dem Bauern den Beutel mit den Pfennigen für den Vetter aus der Hand gerissen. "Du brauchst dich nicht mehr darum zu kümmern", hat er gesagt. "Ich besorge das schon und bringe es deinem notleidenden Verwandten." Damit ist der Fährmann auch schon aus dem Nachen gesprungen, denn soeben hat dieser auf dem Kies gescharrt. Bevor der Bauer auch nur hätte aufstehen können, hat jener dem Schifflein einen gewaltigen Fußtritt versetzt, so daß dieses in die reißende Strömung hineingestoßen worden ist.
Sofort haben die Wellen das kleine Schifflein erfaßt und sie haben es mit unheimlicher Geschwindigkeit fortgerissen. Weil ja kein Ruder da war, mußte sich der Bauer treiben lassen. Das ist eine höllische Fahrt geworden! Der Nachen ist nur so dahingeschossen, von Strudeln immer wieder herumgedreht und wieder dahinsausend an im Fluß aufragenden Felsen gefährlich nahe vorbei. Der verzweifelte Insasse ist hin und her geschaukelt worden, daß ihm übel geworden ist. Erst oberhalb von Wasserburg haben die Wellen den fast wahnsinnig Gewordenen ans Land getrieben.
Gerade ist ein Bauer mit seinem Wägelchen durch die Innauen dahergekommen. Er hat den Schiffbrüchigen entdeckt und mitgenommen. "Wie kannst du dich mit so einem gebrechlichen Schifferl nur in den Inn trauen!" hat jener geschimpft. Der Gerettete aber hat keine Antwort gegeben und nicht erzählt, wie das wirklich zugegangen war. Der gutmütige Wasserburger hat ihn mit heim genommen. Dort ist er dann einige Wochen krank darniedergelegen und gepflegt worden, bis er wieder fähig gewesen ist zur Heimreise.
Daheim ist dann der für seinen Geiz so schlimm Bestrafte ein Mensch geworden, der an nichts mehr hat Freude haben können. Einsilbig und mißmutig ist er seinem Tagwerk nachgegangen, und nur selten hat er sich in eine Unterhaltung mit Nachbarn eingelassen, geschweige, daß er von seinem Erlebnis Genaueres erzählt hätte.
Längst war ein neues Jahr ins Land gezogen, da ist eines Tages der Vetter aus Birkenstein auf den Buchberg gekommen. Er hat sich für das große Geldgeschenk bedanken wollen beim Bauern und der Bäuerin vom Buchberg. Er hat berichtet, daß es ihm ein großer, fremdartiger Mann überbracht hat, und er hat dem Buchberger immer wieder versichert, wie dankbar er ihm sein müsse, weil seine Großzügigkeit ihm damals aus seinen großen Nöten herausgeholfen hat. Der reiche Vetter aber hat darauf gemeint, das sei doch gar nicht so viel Dank wert, weil es ja nur schlechte Pfennige gewesen sind, die er ihm geschickt hat. "Aber nein!" hat der Birkensteiner darauf erwidert. "Keine Pfennige waren in dem Beutel, sondern lauter gute, blanke Silbertaler. Und damit habe ich mir einen gesunden Viehbestand kaufen und den heruntergekommenen Hof schön herrichten lassen können. Ihr müßt es euch bestimmt bald mal selber anschauen!"
Jetzt hat der Buchberger nicht länger mehr schweigen können, und er hat erzählt, was ihm seinerzeit passiert war. Da haben alle gleich gewußt, wer der Schiffsmann und wer der seltsame Geldbote gewesen ist: Nur der Alberer hat das sein können!
Von nun an ist der Buchberger-Bauer ein freigebiger Mann gewesen und er ist mit sich und der Welt zufrieden gewesen bis ans Ende seiner Tage.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 123