Die Husarenlinde bei Niederaudorf
Bei Niederaudorf stand bis vor wenigen Jahren eine große alte Linde, die man die Husarenlinde nannte. Im Jahre 1743 waren die Österreicher ins Land eingefallen. Ihnen zur Seite kämpften mitleidlos und grausam die aus Ungarn stammenden Panduren, ein gefürchteter Reiterhaufen.
Nahe bei der besagten Linde an der Straße nach Fischbach kam es zwischen bayerischen Soldaten und Panduren zu einem Scharmützel. Drei der bayerischen Husaren wurden von den Dolpatschen, wie die wilden, fremdartigen Reiter auch genannt wurden, niedergemacht und, wie man sich dann erzählt hat, noch lebend unter der Linde begraben. Seitdem treten dort Geisterlichter in Erscheinung.
Ein Bauer von Oberaudorf hat das vor gut zweihundert Jahren erlebt: Als er mit seinem Hund an der Husarenlinde vorbeiging, lief ihm das sonst so treue Tier ohne ersichtlichen Grund auf einmal mit eingezogenem Schwanz davon, ohne auf die Rufe und Pfiffe seines Herrn zu hören. Da sah der Bauer an dem großen, freistehenden Lindenbaum ein Licht herumhüpfen und dann über der Wiese hin- und herwandern. Sein Hund war schon außer Sichtweite. Als der Bauer schließlich nach Hause kam, lag sein Hund mit gesträubtem Fell und angstvoll winselnd unterm Tisch in der Stube. Alles Zureden nützte nichts, der Hund traute sich an diesem Tag nicht mehr hervor.
Der alte Hofwirt, der gewiß nicht zu den Furchtsamen gehörte, hat die folgende Geschichte als wahre Begebenheit oft erzählt, die ihm selbst passiert war. Der Hofwirt war der "Postwirt" von Oberaudorf. Sein Anwesen war das heutige Bekleidungshaus Rechenauer an der Ecke gegenüber der Pfarrkirche, wo noch das wunderschöne schmiedeeiserne Wirthausschild mit der Postkutsche von der früheren Bestimmung dieses Gebäudes kündet.
Also, der Hofwirt war zusammen mit seinem Buchhalter geschäftlich
unterwegs gewesen. Erst gegen Mitternacht kamen die beiden Männer
mit ihrem Pferdewägelchen heim. Des Hofwirts Hund lief nebenher.
Sie hätten vielleicht noch eine Viertelstunde zu fahren gehabt, als
sie auf der Straße von Fischbach her am Ortsrand von Niederaudorf
an der mächtig in den Nachthimmel ragenden Husarenlinde anlangten,
eben dort, wo bayerische Husaren von den Panduren bei lebendigem Leib
begraben worden sein sollen, nachdem sie niedergemetzelt worden waren.
An diesem Baum aber wollte der Schimmel, der vor dem Wägelchen der
zwei Heimkehrer lief, um keinen Preis vorbei. Er bäumte sich auf
und schlug mit den Hufen aus wie von Sinnen. Der Hund aber jagte so schnell,
wie er nur konnte, dem Dorfe zu. Und nun sah der Hofwirt die Spukgestalt,
die sogar ihm Furcht und Entsetzen einjagte: Unter der Linde stand ein
Husar, der auf der Brust ein herzförmiges Licht trug. "Hü,
ho!" rief der Hofwirt und knallte mit der Peitsche dem Roß
um die Ohren, daß sich dieses endlich doch in die Seile warf und
davonraste. Die beiden im Wagen hatten ihre Not, nicht herausgeschleudert
zu werden. Das leuchtende Herz aber begleitete die Dahinrasenden bis zum
Stigloherbichl, wo es auf einmal grad nach oben fuhr und verschwand. Jetzt
wurde auch das verängstigte Pferd wieder ruhiger und brachte die
zwei Männer in flottem Trab heim. Dort hockte des Hofwirts Hund schwer
schnaufend und mit Schaum vor dem Maul vor der Haustür. Als Herr
und Hund im Hause waren, bedurfte es langen und guten Zuredens und beruhigenden
Streicheins, bis der Hund endlich von der Seite seines Herrn ging und
sich an seinem Platz hinstreckte, den Kopf zwischen die Pfoten legte und
endlich einschlief.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 71