Die Irrwurzen

Zwischen Nußdorf und Neubeuern erstreckt sich das große Breitseemoos, eine Moorgegend, die vom Inn bis an den Fuß des Samerberges hinreicht. In diesem Moor sollen sich Irrwurzen befinden. Wenn ein Wanderer auf eine solche versehentlich tritt, findet er seinen Weg nicht mehr. Gar mancher soll auf diese Weise schon im Moor umgekommen sein.

Einmal ging ein Bauer nachts durchs Moos nach Hause. Da trat er auf eine Irrwurz und konnte nicht mehr herausfinden. Voller Angst ging er kreuz und quer durch das sumpfige Land und fand und fand seine Straße einfach nicht. Schlimm erschrocken ist er dann noch obendrein, als ein bläuliches Lichtlein auf ihn zugewackelt kam. Bei jedem Schritt und Tritt, den er unsicher tat, begleitete es ihn, und es war in geringem Abstand mal neben ihm, mal vor oder hinter ihm. Schließlich dachte der Verirrte: "In der Finsternis finde ich meinen Weg sowieso nicht mehr." Was konnte er schon Besseres tun, als sich ins Erikakraut zu setzen und an einen Baum gelehnt den Morgen abzuwarten. Endlich, endlich graute allmählich der neue Tag. Von ferne hörte der Bauer eine Kirchenglocke zum Morgengebet läuten. Da verschwand auch das blaue Licht, das die ganze Nacht um ihn herumgeflackert war. Er erhob sich von seinem unbequemen und kalten Lager und sah zu seinem Erstaunen, daß er nur wenige Schritte von der Straße entfernt war, die nach Nußdorf hinein führt. Nun strebte er schnellen Schrittes seinem Zuhause zu. Die Macht der Irrwurz war durch das Gebetläuten gebrochen worden.

Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 130