Wie die Einsiedelei Kirchwald entstanden ist
Ein Tuchmachergeselle aus der mährischen Stadt Iglau, von lutherischen Eltern dort erzogen, ging im Jahre 1643 von seiner Vaterstadt aus auf Wanderschaft. Als fahrender Handwerksgeselle kam er an vielen Orten auch mit der katholischen Religion in Berührung, der viele der Handwerksmeister angehörten, bei denen er auf der Walz gearbeitet hat. In reiferen Jahren gewann er eine große Vorliebe für die katholische Lehre. Er schätzte besonders hoch, daß der Heilige Vater der Katholiken eine Einigungsfigur sein oder werden könnte für alle Christen. So entschloß er sich zu der weiten Reise nach Rom. Er wollte gleichsam an der Quelle Wahrheit schöpfen über den katholischen Glauben und seine Gebräuche erfahren. Schließlich verlangte er in Rom bei einem besonders für die Deutschen dort tätigen Beichtvater nähere und letzte Unterweisungen, die er dann auch erhielt.
Seinen Lebensunterhalt erwarb er sich durch Arbeit in seinem Beruf, während er in der Freizeit die Glaubenssätze studierte und viel betete. Er wurde auch ein eifriger Verehrer der Gottesmutter Maria. Schließlich erreichte er, was er wollte: Am Tag Mariae Verkündigung des Jahres 1644 wurde er in St. Peter zu Rom in die katholische Kirche aufgenommen. Nach seinem Glaubensübertritt wurde er ein noch eifrigerer Gottesdiener und besonderer Verehrer der Mutter Jesu.
Er blieb noch drei Monate in Rom. In dieser Zeit schenkte ihm ein Kardinal ein Gemälde, das Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm zeigte. Endlich machte sich Michael Schöpf!, so hieß der Rompilger, auf den Rückweg. Als besonders geschätztes Andenken trug er das Muttergottesbild unter dem Arm, um für diese Kostbarkeit eine neue Heimat zu suchen. Denn der Kardinal hatte ihm beim Abschied gesagt: "Geh, mein Sohn! Gott wird dir zeigen, wo du ruhen und eine Hütte bauen sollst."
Gar oft auf seinem beschwerlichen Weg mußte Michael Schöpf! ausruhen, in Italien und in Tirol. Auf manchem Berg machte er Rast, in manchem Tal nächtigte er, an wilden Plätzen, in schönen Auen. Immer noch trug er das liebe Bild mit sich, als er am 21. September 1644 schließlich nach Nußdorf im Inntal kam. Nie und nirgends hatte er bisher ein Zeichen, eine Mahnung bemerken können, am gerade erreichten Ort zu bleiben. Jetzt wollte er wahrscheinlich weiter über den Samerberg zum Kloster Chiemsee. So führte ihn sein Weg hinter Nußdorf durch den Kirchwald. Auf dieser Wanderung hielt er etwa eine halbe Stunde außerhalb von Nußdorf inne, um seine Andacht zu halten. Wie immer bei dieser Gepflogenheit stellte er sein Muttergottesbild vor sich hin. Während des Betens wurde ihm wunderlich wohl zumute und er glaubte, eine innere Stimme zu vernehmen, die ihm sagte, hier zu bleiben, doch wußte er nicht, ob er dieser Eingebung trauen sollte. Noch inbrünstiger betend blickte er zu seinem Gemälde auf. Da sah er, daß von einem Fuß des Jesuskindes die Bänder des Bundschuhes fast völlig aufgelöst waren und der Schuh wie herunterfallend vom Fuß herunterhing. Das aber hatte er an seinem Bild noch nie gesehen. Erst war er erschrocken, doch dann hielt er es für einen Wink des Himmels. Sofort ging er nach Nußdorf zurück und erbat sich dort die Erlaubnis, im Kirchwald - er hieß schon lange so, weil hier der Weg von Gritschen zur Kirche führt - eine Eremitenklause errichten zu dürfen.
Fromme Einsiedler hatte man damals sehr gerne in der Nähe, und so genehmigte man ihm, was er erbeten hatte. Am Vorsprung des Heuberges, wo der wilde Steinbach ein felsiges, düsteres, enges Tal durchrauscht, baute sich Michael Schöpf!, der ehemalige Lutheraner und Rompilger, eine Hütte und für sein Marienbild eine Kapelle aus Holz.
Nahe der Einsiedlerbehausung sprudelte eine Quelle, deren Wasser damals für Mensch und Tier schädlich war. Bruder Michael, der Einsiedler, verlobte sich zu einer Wallfahrt, brachte geweihtes Wasser mit, faßte die Quelle mit Felssteinen ein und goß das geweihte Wasser darein. Auch legte er Reliquien, die er von Rom mitgebracht hatte, in dieses Felsenbrünnlein. Dann betete er zur Gottesmutter, sie möge dieses Wasser in einen Gesundbrunnen verwandeln. Sein Gebet wurde erhört, denn das Wasser ist so heilkräftig geworden, daß es Kranke sich von weit und breit holen ließen und davon Linderung ihrer Schmerzen erhielten und zuweilen gar völlige Gesundung.
Später sah sich der Klausner genötigt, die Kapelle aus dem engen, feuchten Winkel zu entfernen und sie ein Stück oberhalb größer neu zu erbauen, so viel wurde sie von Gesunden und Kranken besucht. Bruder Michael war dreiundzwanzig Jahre bis zu seinem Tode am 18. Januar 1667 dort Klausner. In den letzten zwei Lebensmonaten kam ihm als Helfer und Pfleger zur Seite Michael Rieder aus Aurdorf, wie Oberaudorf früher hieß. Dieser wurde dann der Einsiedler von Kirchwald. Er erbaute später ein steinernes Kirchlein mit Hilfe der Bauern der Umgebung, das 1698 von Bischof Sigismund von Chiemsee geweiht wurde. Dieses wurde 1720 durch eine stattliche neue Kapelle ersetzt, wie sie heute noch dort steht und viel besucht wird. Auch ein Einsiedler wohnt noch im Kirchwald, einer, der freundschaftliche Verbindung zu den jungen Menschen seiner Gemeinde hält. Er war oder ist noch Trainer des Nußdorfer Fußballklubs. Und das ist jetzt keine Sage!
Übrigens, das Muttergottesbild, das der Gründer der Einsiedelei
von Rom mitgebracht hatte: Eine Kopie davon hängt noch in der Kapelle
im Kirchwald, während man das Original während der Säkularisation
sicherheitshalber in die Pfarrkirche von Nußdorf brachte, wo es
noch hängt.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 138