Der Klosteraufheber
In der Zeit der Säkularisation in Bayern zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hatte sich bei der Aufhebung von Klöstern, Einziehung ihrer Güter, sakralen Schätze und Bibliotheken, an Schließung oder Abriß von Kapellen und Entfernung von Wegkreuzen ein hoher Herr der bayerischen Regierung besonders hervorgetan. Zur Strafe für diese Freveltaten konnte nach seinem Ableben sein Geist keine Ruhe finden. Immer wieder kutschierte der längst Verstorbene durch die Lande, als wollte er, wie früher so eifrig getan, überall nachschauen, ob die befohlenen Zerstörungen und Aufhebungen auch von den Geistlichen und von den Bauern, in deren Besitz oft eine Kapelle oder ein Flurkreuz war, richtig durchgeführt worden wären.
Von den Geisterfahrten des weiland hohen Herrn war dessen Verwandtschaft einigermaßen unangenehm berührt, sodaß sie eine hohe Geistlichkeit bat, die ruhelose Seele in den Wilden Kaiser zu verbannen. Dem Anliegen wurde auch entsprochen, und so fuhr die arme Seele ein letztes Mal durchs Inntal dem Kaisergebirge zu. Die Reise ging ganz standesgemäß vor sich mit Extrapost, wie es sich für einen vornehmen Herrn der Regierung eben gehörte.
Augenzeugen aus jener Zeit berichteten, daß man in Fischbach eines nachts in der seit 1776 bestehenden Taxisschen Reichsposthalterei das Posthorn erschallen hörte. Dies war nach hergebrachter Weise für den Postwirt das Zeichen, daß man die Pferde wechseln wollte. Er weckte also die Postknechte und diese beeilten sich, die ausgeruhten Pferde aus dem Stall zu holen.
Als dann der Posthalter von Fischbach vor sein Haus trat, bog auch schon die Postkutsche ein und hielt vor dem Tore an. Inzwischen hatten sich auch einige Neugierige eingefunden oder steckten ihre Köpfe aus den Fenstern der benachbarten Häuser, denn eine Extrapost, und das mitten in der Nacht, das war doch eine seltene Begebenheit und wert, den Schlaf zu unterbrechen. Schließlich wollte man ja sehen, wer da auf der Durchreise war. Als aber die Gestalt des nur zu gut bekannten Herrn in großer Uniform und geschmückt mit glänzenden Ordenssternen sich aus dem Fenster des beleuchteten Wagens beugte, erstarrten die Zuschauer alle vor Schrecken, denn jeder wußte, daß ihn seit einigen Wochen der grüne Rasen deckte.
Bevor sich der Posthalter und seine Knechte wieder erholt hatten, fuhr die Postkutsche schon wieder los. Das gleiche wiederholte sich auf jeder Poststation. Später hörte man, daß tiroler Jäger erzählt hatten, der Geist des Klosteraufhebers zeige sich von Zeit zu Zeit an einer hohen Felswand im Kaiser in voller Uniform. Dabei schwebt er eine Weile in der Luft und verschwindet dann wieder im Nebel.
Übrigens muß er sich dort im Kaisergebirge in bester Gesellschaft
befinden, denn vielerlei Unholde, Zwerge, böse Geister und als Lichtlein
herumhuschende Verdammte aus dem Inntal, sündige Mönche und
Nonnen und die letzten Hexen sind dort hinein verbannt. Auch Drachen und
giftiges Gewürm halten sich dort auf, und das Alpenglühen ist
ein Zeichen dafür, welche Qualen die verstorbenen Sünder im
Jenseits auszuhalten haben.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 83