Der Geist am Langweilsteg
Vom Bergdorf Wall hoch überm Auerbach führt auch heute noch ein Fußweg hinab in die Auerbachschlucht. Ein Steg überbrückt den reißenden Bach und der Weg schlängelt sich am anderen Bachufer den Steilhang hinauf nach Buchau mit seinem freundlichen Bergwirtshaus und er führt weiter nach Zimmerau oder nach Oberaudorf hinab. Wegen seiner einsamen Lage nennt man den selten begangenen Steg den Langweilsteg.
Auf dem Langweilsteg ging früher ein Geist um. Er hatte die Gestalt eines flackernden, wandelnden Lichtes und pflegte zwischen Zimmerau, rechts vom Auerbach, und Wall, links des Bergbaches, hin und her zu wandern. Bei Nacht getraute sich deshalb kein Mensch über den Langweilsteg zu gehen.
Einmal aber, es war noch im vorigen Jahrhundert, wagte es ein munterer
Bursch doch. Er nahm all seinen Mut zusammen und ging schneidig auf das
Brücklein zu. Es war eine stockfinstere Nacht. Und siehe! Da war
schon das unheimliche Licht! Der junge Mann jedoch wußte einen alten
Bannspruch gegen Gespenster. So sprach er zum Geist: "Jeder gute
Geist lobet seinen Herrn. Was ist dein Begehr'n?" "Erlöst
möcht' i wer'n!" erwiderte darauf das Licht. Und nun antwortete
der Bursch: "Erlöst sollst du sein!" Sogleich verlosch
das Licht und von dieser Stunde an wurde der Geist am Langweilsteg nie
mehr gesehen.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 70