Der Lennerbachgeist
Der alte Hintergruber erzählte ums Jahr 1920 eine Geschichte, die er von seinem Großvater gehört hatte:
Ein wilder Bergbach ergießt sich zwischen Längau und Buchau von der Großalpe herunter, der Lennerbach. Dort am Weg von Buchau zur Längau war früher ein Viehgatter. Bei diesem aber hauste ein Geist.
Es war noch im 17. Jahrhundert, als einmal ein Metzger von Oberaudorf zu seiner Angebeteten ging, die als Sennerin auf der Baumoosalm weilte. Um nach seinem Schäferstündchen wieder rechtzeitig zur Arbeit zu Hause zu sein, mußte er den Rückweg in der Nacht antreten. So kam er von der Alm herab gerade um Mitternacht an das Gatter. Er hatte seinen Hund dabei, und der lief ihm voraus. Als der Hund fast bei dem Gatter angekommen war, machte er plötzlich kehrt und rannte mit eingezogenem Schwanz zu seinem Herrn zurück. Nicht mehr vorwärtszubringen war das verängstigte Tier. Da ließ der Metzger ärgerlich den Hund hocken und ging allein ans Gatter. Doch er vermochte es nicht, über die paar Holztreppchen zu übersteigen, denn davor stand ein Mann in einer uralten Tracht mit recht breiten Hosenträgern und mit gebundenen Wadenstrümpfen, und dieser Mensch hatte keinen Kopf auf seinen breiten Schultern.
So grausig war das anzuschauen, daß der Metzger, zu Tode erschrocken,
schnurstracks wieder zur Baumoosalm zurück rannte, wo er atemlos
und verstört samt seinem Hund ankam. Seither war er immer kränklich.
Als man im Dorf und auf den Berghöfen die Geschichte erfahren hat,
ging nie mehr jemand des nachts diesen Weg auf die Baumoosalm hinauf oder
von dort herab.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 69