Der Raubritter von Königswart
Auf dem steilen Bergkegel zwischen Nasenbach und Inn erhob sich in alten Zeiten eine mächtige Burg. Der letzte Burgherr war ein gefürchteter Raubritter. Sein Treiben setzte Land und Leute in Furcht und Schrecken.
Der Räuber hatte mit seinen Spießgesellen eine dicke Kette über den Ihn gespannt, knapp unterm Wasserspiegel war sie zumeist verborgen. Kam auf dem Fluß ein vollbeladenes Schiff gefahren, so hemmte die Kette seinen Lauf. Dann stürmte der Schnapphan mit seinen wüsten Gesellen von der Burg herab, raubte die Waren und schleppte die Schiffsleute ins Burgverlies. Nur einen der gefangenen Schiffsknechte jeweils schickte er zur Familie der Eingesperrten, um die Lösegeldforderung zu übermitteln.
Landauf, landab wußte man von den Untaten des bösen Ritters zu berichten. Auch die Kaiserin Agnes, die gerade zu Altötting Hofhielt, hörte von ihm. Sie versprach dem Überwinder des Bösewichtes alles Land, das er vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang mit dem besten Roß aus dem kaiserlichen Marstall umreiten würde. Ein Bauer aus Altdorf, Kuno Meier geheißen, ging das Wagnis ein. Listig schickte er nachts von Wasserburg aus fünf Plätten, die er hoch mit Stroh beladen und mit einigen großen Puppen bemannt hatte, auf die Reise. Die Nacht war klar und mondhell. Der Torwächter auf Königswart sah die Schiffe schon von weitem und stieß in sein Hörn, womit er seinem Herrn die vermeintlichen Kauffahrer meldete. Er riß das Haupttor auf und der Königswarter hetzte mit seinen Leuten hinab zum Fluß. Sie kamen gerade recht, als die Schiffe an der Sperrkette aufgehalten wurden.
Auf diesen Augenblick hatte Kuno Meier mit einem guten Dutzend kräftiger Bauern und Handwerker im Gebüsch gelauert. Mit Wutgeheul fiel der rüstige Haufen über Ritter und Rittersknechte her. Mit Äxten machten die Unerschrockenen nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Wer sich ergab, der wurde gefesselt und später dem Profos übergeben. Einige der Bauern eilten hinauf in die Burg und schleuderten die Brandfackel in das Räubernest. Hellauf loderte die Feuersbrunst! Am Morgen ragten nur noch einige verkohlte Balken aus Mauerschutt und Asche.
Am selben Morgen noch begab sich Kuno Meier zur Kaiserin Agnes nach Altötting. Er meldete das Ende des Raubritters und seiner Verbündeten und erhielt, wie versprochen, das beste Roß aus dem kaiserlichen Marstall. Das war ein blühweißer Schimmel. Einige Tage später begann auf diesem Pferd Kuno Meier bei Tagesanbruch seinen Landnahmeritt. Wie vom Teufel gehetzt ritt er los und jagte das edle Tier zuschanden. Bei Sonnenuntergang sank der Schimmel vollkommen erschöpft zu Boden und stand nicht mehr auf. Da lamentierte der nimmersatte Reiter: "Mein, hältst hier schon, Gurre!"
Im Großhaager Forst zwischen Hohenlinden und Haag steht an der Bundesstraße 12 der "Schimmelstein". Er bezeichnet die Stelle, wo anno 1058 der Schimmel gestürzt war.
Kuno Meier aber erbaute inmitten seines durch den Schimmelritt abgegrenzten Ländchens, im Haag, eine feste Burg. Fortan nannte er sich "Edler von Gurre". Seine Nachkommen, die Gurren, waren viele Jahrzehnte die Herren im Haag. 1245 starb die Sippe aus. Die reichen und stolzen Fraunberger traten die Nachfolge an.
In Haag stehen noch immer die Türme der alten Gurrenburg. Und im
Wappen des Marktes Haag springt auf rotem Grund ein blühweißer
Schimmel.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 191