Der Bräundlstein von Reichertsham
An der Kreisstraße, die von Stephanskirchen bei Wasserburg nach St. Leonhard führt, liegt ungefähr fünfhundert Meter von der Ortschaft Reichertsham links am Waldrand des Streitforstes der "Bräundlstein". Er ist ein erratischer Block aus Glimmerschiefer, also vom Gletscher der Eiszeit von weit her transportiert und bei Rückgang des Eises hier liegen gelassen. Er mißt in der Länge und in der Breite etwa 4,50 Meter und ist 3,50 Meter hoch. Ursprünglich muß er wesentlich größer gewesen sein. Nach der Überlieferung hat vor 150 Jahren das Kgl. Forstamt Wasserburg dem Besitzer des Haushuber-Anwesens die Erlaubnis erteilt, den Stein zu Bauzwecken zu verwenden, nachdem dieser Hof in Reichertsham einem Brand zum Opfer gefallen war. Doch dürfte das Vorhaben bald an der Härte des Steins gescheitert sein. Aber leider sind dabei fünf der sieben handtellergroßen Vertiefungen auf seiner Oberfläche und die sogenannte "Blutrinne" verschwunden. Um diesen Stein gibt es mehrere Sagen:
An einem warmen Herbsttag hütete die Stalldirn von Streit das Vieh am Rande des unheimlichen Waldes. Die Kühe weideten in den Schatten der Bäume hinein und die Magd, wohl in Gedanken versunken, folgte ihnen. Da wurden sie jäh durch einen sonderbaren Anblick aufgeschreckt: Auf einem gewaltigen Felsblock, dem Bräundlstein, hockte der Teufel. Er hatte auf seinem Schoß einen Haufen Pferdemist, den er anscheinend auf verschiedene Schüsseln verteilte. Die Magd wollte voll Entsetzen davonlaufen. Aber der Schreck und besonders der dämonische Blick des Bösen lahmten ihre Glieder. Der Satan winkte ihr, näher zu kommen. Die Dirn getraute sich nicht, der Aufforderung zu widerstreben, trat zögernd hinzu, und der Teufel zwang sie, eine Hand voll "Roßbollen" in ihre Schürzentasche zu stecken. Dann war er plötzlich verschwunden.
Wie betäubt rannte die Geängstigte zu ihrem Vieh, das ruhig grasend wieder dem Ausgang des Waldes zustrebte. Doch, was war das? Ihre Tasche wurde mit jedem Schritt schwerer, und als sie auf das freie Feld in die Sonne hinaustrat, langte sie in die Schürzentasche und sah an Stelle des Pferdemistes pures Gold zwischen ihren Fingern glänzen.
Von diesem Schatz kaufte sie sich einen schönen Bauernhof und heiratete ihren Herzallerliebsten. Doch soll auf ihrer Wirtschaft kein Segen gewesen sein. An dem Bräundlstein sind aber heute noch Schüsseln zu sehen und auch der Platz, wo der Teufel gesessen und da drum rum eine Rinne, in der sein heißer Schwanz gelegen war.
Eine andere Sage erzählt, daß in der Nähe des Bräundlsteins ein verfallener Brunnen einmal war. In diesem war ein großer Schatz verborgen. Diesen zu heben, plagten sich vor vielen Jahren ein paar Burschen. Das war äußerst schweißtreibend und konnte nur in mondlosen Nächten geschehen.
Es war eine kalte, windige Nacht und weil ja Neumond war, war es auch
stockfinster. Drei mitgebrachte Laternen spendeten nur wenig Licht. Das
Graben mit Pickel und Schaufel jm steinigen Boden war außerordentlich
mühsam. Endlich stieß man aber doch auf ein großes, schwarzes
Stück Holz. Das mußte die Schatztruhe sein! Gleich griffen
die Männer mit ihren starken Händen rundum unter die Truhe,
um sie so aus dem ganz schön tief gewordenen Erdloch herauszuheben.
Mit "Ho-ruck!" hatten sie diese bereits auf die Kante des Loches
gewuchtet, da sprengte ein Jäger zu Pferd heran, den sie für
den Schloßjäger von Kling bei Schnaitsee hielten. Der rief
ihnen zu: "Habt ihr den Schatz schon!" "Ja, wird gleich
da sein!", war die freudige Antwort. Da! Plumps! Die Truhe entglitt
ihren Händen, fiel zurück in das so eifrig gegrabene Loch und
verschwand darin auf Nimmerwiedersehen.
Quelle: Einmayr Max, Inntaler Sagen, Sagen und Geschichten aus dem Inntal zwischen Kaisergebirge und Wasserburg, Oberaudorf 1988, S. 186