Wie das Kloster Tegernsee gegründet wurde
Adalbert und Otkar waren zwei fürstliche Brüder aus dem Lande Burgund. Ihre Mutter entstammte dem bayerischen Herzogsgeschlecht. Sie lebten als fromme und tapfere Männer am Hofe ihres Blutsverwandten, des Königs Pipin im Frankenreich. Eines Tages begab es sich, daß der Sohn des Königs den Sohn Otkars in der Hitze des Streites erschlug. Da die Brüder groß an Macht und reich begütert in Bayern und Burgund waren, fürchtete Pipin ihre Rache, wußte aber dem Ausbruch ihres Schmerzes und Zornes durch eine weise List zu begegnen. Noch ehe der Todschlag ruchbar wurde und selbst Otkar etwas davon erfuhr, versammelte Pipin seine Großen um sich, zu denen auch Otkar gehörte, und sprach zu ihnen: "Wie bedünkt Euch wohl, daß einem Übel zu begegnen ist, dem man in keinem Fall abhelfen kann?" Otkar, der das Ziel dieser Rede nicht kannte, erwiderte: "Solches Übel wahrlich muß man mit Gleichmut ertragen." Darauf entdeckte der König den entsetzlichen Vorfall, der in der Familie geschehen war. Der unglückliche Vater schwieg in Schmerz und Trauer. Schließlich kamen die zwei Brüder überein, der Welt auf immer zu entsagen. Schon früher war auf einem Gut ihres Vaters in Tegernsee im bayerischen Sundgau das Kirchlein St. Salvators gegründet worden. Jetzt ließen sie den Wald am Ufer des Sees lichten und beschlossen, neben der Kirche ein Gotteshaus zu stiften und ihm all ihr Besitztum in dieser Gegend zu übertragen. Um aber ihre Sehnsucht zu stillen und für ihre Gründung ein hochgefeiertes Heiligtum zu erwerben, pilgerten sie nach Rom.
Versehen mit St. Winfrids Waffen, der sie in ihrem Entschluß mächtig bestärkt hatte, erreichten sie die heilige Stadt gerade in dem Augenblick, als heidnische Seeräuber sie bedrohten. Da schritten die beiden Pilger noch einmal zu ritterlichem Werk. Sie stellten sich an die Spitze der Römer, besiegten und züchtigten die Frevler und kehrten mit Siegeszeichen zum Grabe des Apostelfürsten zurück. Als Lohn erbaten sich die frommen Helden vom Papste den Leib des Hl. Quirinus zum Geschenk. Die Verehrung der Römer für den Hl. Quirin war aber so hoch gestiegen, daß der Papst die Bitte Adalberts und Otkars nicht öffentlich erfüllen konnte; doch versprach er den erbetenen Schatz einem Boten, den sie später schicken sollten, unter dem Siegel des Geheimnisses zu übergeben. Mit diesem Versprechen und mit dem Segen des Heiligen Vaters kehrten die frommen Brüder über die Alpen heim und rüsteten alles für den Empfang des erwählten Schutzheiligen ihrer Stiftung. Dann schickten sie ihren Schwestersohn, Uto mit Namen, nach Rom, damit er das Kleinod in aller Stille an den Tegernsee holte. Am letzten Abend der Heimreise machte Uto nicht weit von Tegernsee am Ufer noch einmal Halt. Wo der Leib des Heiligen in dieser Nacht geruht hatte, entsprang eine heilkräftige Quelle und wurde ein Segen für die ganze Landschaft. Am Morgen des andern Tages gingen die Bewohner dem Zug im Festgewande entgegen und geleiteten den Sarg mit den heiligen Reliquien betend und singend zur Salvatorkirche, wo er bleiben sollte, bis das neue Gotteshaus vollendet wäre. Endlich wurde die feierliche Weihe der Klosterkirche vollzogen im Jahre 755. Die Bischöfe von Salzburg, Regensburg und Freising geleiteten das Heiligtum aus dem Kirchlein in die Gruft des neuen Gotteshauses. In dieser Stunde wiederholten die Stifter noch einmal feierlich ihr Gelübde, der Welt für immer zu entsagen, und legten den Stiftungsbrief auf St. Quirins Altar nieder. Der Papst, der König und der Herzog des Bayerlandes waren zu der heiligen Handlung herbeigekommen und bestätigten die Wahl des ersten Abtes: Unter Leitung des Bischofs hatten die Mönche einstimmig den Grafen Adalbert zu dieser Würde erkoren.
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Im Franziskanerkloster zu Tölz befindet sich ein riesiges Holzgemälde
mit zwei 9 Fuß hohen Bildnissen von Männern, den beiden Stiftern
des Klosters Tegernsee, wie die Inschrift sagt: Adalbertus et Otkarius
fundatores. - Der eine trägt als Abt den Bischofsstab, der andere
eine Kirche mit zwei Türmen.
Quelle: Sagen aus dem Isarwinkel, Willibald Schmidt, Bad Tölz, 1936, 1979;