Pontius Pilatus auf der Benediktenwand
Auf der Abendseite der Isar, da schaut die Benediktenwand über alles
hinweg, und ihre Felsen leuchten noch ein Stück über die Hauptstadt
München hinaus, nach dem hohen Schloß Dachau, auf daß
die Leute im Bayernland auch allezeit eingedenk sein möchten der
menschlichen Verfehlungen und Sünden und unseres Heilands und Seligmachers,
des lieben Herrn Jesus. Denn auf dem Benediktenwandgipfel, müßt
ihr wissen, da ist einmal der Landpfleger Pontius Pilatus gestanden nach
seiner langen rastlosen Flucht aus dem heiligen Land Palästina, und
wie er so gegen die weite Ebene hinschaut, mit einemmale ist ihm, die
Isar wäre ein pur silberner Kreuzstamm - und schon meint er auch
den Querbalken zu sehen, in seinem wirren Gewissen - und über das
Land gestreckt unseren Erlöser. Und da stürzt er sich hinab
über die Felsen. Seitdem ist er hinter die große Felsmauer
verdammt, hockt griesgrämig in der Benediktenwand drinnen und alle
unchristlichen und schlechtsinnigen Landpfleger und Amtmänner vom
ganzen Land Bayern müssen ihm Gesellschaft leisten in dem finsteren
Berg. Da kannst du sie diemals noch hören, wenn sie kegelscheiben
und danach laut um den Best streiten mit ihrem Großmeister Pilatus.
Max Rohrer
Quelle: Sagen aus dem Isarwinkel, Willibald Schmidt, Bad Tölz, 1936, 1979;