GRÄFIN WEKLIN

In der Nähe des Marktes Schönberg befinden sich die Ruinen des Schlosses Rammelsberg, ehemals eines der ältesten Schlösser des Bayerischen Waldes. Hier lebte einst die Gräfin Weklin, welche wegen ihrer bezaubernden Schönheit, nicht minder aber auch wegen ihres Neides und ihrer Hartherzigkeit bekannt war. Oft kamen die Armen der Gegend um etwas von den Überresten der reichbesetzten Tafel zu erbitten. Gräfin Weklin wies ihnen stets unbarmherzig die Tür und befahl den Dienern, die Speisereste den Schweinen vorzuwerfen. Da wurde die Gräfin krank und starb schon nach wenig Tagen. In feierlicher Weise wurde ihr Leib in der Ahnengruft beigesetzt. Nachdem das geschehen war, ging die Dienerschaft wieder ihrer gewohnten Arbeit nach. Mit Entsetzen gewahrten die Mägde die Verstorbene unter den Schweinen sitzen und mit diesen aus dem Troge zehrend. Als der Graf davon hörte, ging er zur Zeit der Fütterung in die Stallung und fand mit Schrecken die Mär bestätigt. Darauf ließ er einen kostbaren Trog anfertigen, ihn in den Schweinestall stellen und zur Speisezeit jedesmal mit den köstlichsten Sachen füllen. Aber die Gräfin saß immer wieder unter den Schweinen. Nun rief er einen Einsiedler zu Rate, der in der Nähe hauste. Der verbannte die Gräfin an den Rachelsee. Ehe sie aus dem Stalle verschwand bat sie noch: »Bringt mir jedes Jahr ein Paar eiserne Schuhe an den Ort meiner Verbannung! Ich muß noch weiter büßen für meinen Neid.« Von der Stunde an ging der Geist der Gräfin am Rachelsee um, der damals noch mit Urwald umgeben war und selten eines Menschen Antlitz sah. Alljährlich stellte man ihr an das Ufer des Sees die gewünschten Schuhe. Wenn sich dann und wann die Hirten mit ihrem Vieh an den See verirrten, sahen sie die Gräfin in weißem Kleid und mit aufgelösten Haaren weinend am Ufer sitzen oder schwerfällig über den Wasserspiegel schweben, wobei sie die eisernen Schuhe in die Tiefe zu ziehen drohten. Seit einiger Zeit ist sie verschwunden. Ob sie wohl erlöst ist?

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen