DIE HEXEN IM FRAUENAUER WALDE

Im Frauenauer Walde drinnen steht an einem Kreuzwege ein riesenhafter Baum, an den viele Totenbretter sich lehnen. Bei diesem Baume traf einmal ein Bauer, der um Mitternacht von Frauenau nach Rinchnach heimging, ein altes, gebrechliches Weiblein mit einer Kirbe auf dem Rücken. Das Weiblein nannte den Bauern beim Namen und sagte: »Gehng ma mitanand; ham ma eh oan Wö(g)!« Der Bauer dachte: »Du bist a Hex!« und ging schweigend neben seiner Begleiterin, die ihm völlig unbekannt war, her. Sie waren noch gar nicht weit gekommen, als sie auf einmal wie vom Himmel geschneit ein hellerleuchtetes Gasthaus vor sich sahen, in dem Rundgesang und fröhliche Musik ertönte. Zaudernd blieb der Bauer stehen und überlegte ob er vor- oder rückwärts gehen solle - er hatte ja das Haus noch nie gesehen und war doch schon hundertmal den Weg gegangen - da stand schon die junge Wirtin mit einem schäumenden Bierkruge vor ihm. Anfangs weigerte er sich zu trinken; endlich als die beiden Weiber, seine Begleiterin und die Wirtin, nicht aufhörten, ihn zu nötigen, tat er einen herzhaften Schluck. Kaum war der Trunk geschehen, fiel es ihm wie Schuppen von seinen Augen und die Weiber, die ihm vorher gänzlich unbekannt schienen, erkannte er jetzt als Mitbewohnerinnen seines Heimatdorfes; aber mit dem Erkennen stürzte er zugleich bewußtlos zu Boden. Des anderen Morgens kam er schauerlich zugerichtet, zerkratzt und zerschlagen, nach Hause, so daß Arzt und Pfarrer geholt werden mußten. Erst nach vielen Wochen konnte er das erste Mal wieder ausgehen. So oft er später von seinem Abenteuer erzählte, die Namen der beiden Hexen nannte er nie; diese hatten ihm gedroht, ihn umzubringen, falls er sie verrate.

Michael Waltinger, Niederbayerische Sagen