Das Kreuz auf dem Marienkirchhofe zu Berlin.
Auf dem Marienkirchhofe zu Berlin befindet sich rechts vom Eingange unter dem Thurme der Kirche ein uraltes, ziemlich roh gearbeitetes steinernes Kreuz mit 5 Löchern (wahrscheinlich zum Anbringen eines Crucifixes bestimmt), welches aber früher an einer andern Stelle sich befand, nämlich da, wo im Jahre 1726 das Küsterhaus hingebaut worden ist. Nach der gewöhnlichen Annahme soll dasselbe nach der hier im Jahre 1335 geschehenen Ermordung der Probstes Nicolaus von Bernau errichtet worden sein. Derselbe war nämlich in der Marienkirche wegen einer Aufforderung Rudolphs von Sachsen mit einigen von der Gemeinde hart zusammengerathen und hatte, als dieselben sich nicht fügen wollten, mit dem Bann gedroht, allein dadurch waren dieselben noch mehr erbittert worden, sie drängten ihn aus der Kirche heraus und vor der Thüre derselben ward der Unglückliche von dem wüthenden Pöbel zu Boden gerissen, mit Füßen getreten und hauchte bald unter den Streichen der Rasenden sein Leben aus. Der Bischoff von Brandenburg Johann III. that hierauf die Stadt in Bann und sein Nachfolger Stephan hob denselben nur erst 1347 wieder unter der Bedingung auf, daß die Gemeine an der Stelle, wo der Mord verübt worden, ein Kreuz errichten und eine ewige Lampe in einem Kapellchen unterhalten würde. Eine Spur von diesem Lichtgestifte war lange, nachdem das Kapellchen verschwunden war, noch vorhanden, denn das Haus in der Spandauer Straße No. 76 wurde noch lange die Lampe genannt, und der Besitzer desselben, ein Schmied, hieß im Volksmunde der Lampenschmied. Die Sage erzählt jedoch über die Entstehung dieses Kreuzes ein anderes Märchen. Es soll nämlich der Teufel dereinst gefunden haben, daß seit der Erbauung der Marienkirche ihm viele Seelen entgangen seien und mancher Sünder, auf den er schon mit Sicherheit gerechnet, sich gebessert habe und von unserem Herrgott wieder zu Gnaden angenommen worden sey. Da beschloß er denn, den ersten Besten, den er an der Kirche erwischen könne, seinem Grimme zu opfern. Nun trug es sich zu, daß gerade ein Feiertag war und ein armer Musicant nach alter frommer Sitte hoch oben auf des Thurmes Zinnen einen frommen Choral in früher Morgenstunde blasen sollte, da packte ihn der Teufel beim Kragen und schleuderte ihn mit gewaltigem Ruck auf die Straße herab. Allein unser Herrgott hatte Erbarmen mit dem armen Manne, es erhob sich auf einmal ein furchtbarer Sturm, der Wind versackte sich in den Falten des Mantels des Herabstürzenden und so ward derselbe langsam aus der schwindelnden Höhe hinab auf die Erde getragen, und die Stelle, wo er gesund und mit ungebrochenen Gliedern ankam, wird durch das steinerne Kreuz bezeichnet. Andere erzählen freilich, der vom Teufel herabgeschleuderte Stadtmusicus (Hausmann) hätte an dieser Stelle wirklich seinen Geist aufgegeben, während wieder Andere berichten, beim Neubau des Thurmes sey einer der Bauleute vom Teufel herabgestürzt worden und sey an jener Stelle verstorben.
Quelle: Grässe, Johann Georg Theodor, Sagenbuch
des Preußischen Staates, Glogau, 1868/71, S. 148.