Der Neidkopf.
König Friedrich Wilhelm der Erste ging gern in den Straßen Berlin's umher, um das Leben und Treiben der Einwohner genauer kennen zu lernen, und besonders gefiel es ihm wohl, wenn er alles recht geschäftig und thätig fand. So trat er auch einst in die ärmliche Hütte eines Goldschmieds in der Heiligengeiststraße, den er schon mehrere Male bis zum späten Abend thätig gefunden an dem er aber auch zu gleicher Zeit bemerkt hatte, daß er bei rastloser Arbeit nur wenig vorwärts kam. Der König ließ sich nun in ein Gespräch mit dem Manne ein und erfuhr, daß er gern noch mehr arbeiten würde, wenn es ihm nicht gar zu oft an Gelde fehlte, das nöthige Gold und Silber zu kaufen. Da befahl ihm der Monarch, ein goldenes Service zu fertigen und ließ ihm dazu das Metall aus der Schatzkammer liefern. Mehrmals besuchte er ihn nun während der Arbeit, und freute sich über die Geschicklichkeit und den Fleiß des Mannes; als er so auch eines Tages bei ihm weilte, bemerkte er an einem Fenster des gegenüber gelegenen Hauses zwei Frauen, die dem Goldschmied, der am offenen Fenster arbeitete, sobald er nur aufsahe, die abscheulichsten Gesichter zogen, und erfuhr auf sein Befragen, daß dies die Frau und Tochter eines reichen Goldschmieds seien, die ihm ihren Neid über sein unverhofftes Glück auf diese sonderbare Weise kund gäben. Da beschloß der Monarch die Mißgunst derselben zu strafen, indem er dem Goldschmied nach einiger Zeit ein ganz neues Haus bauen und an demselben den Neidkopf anbringen ließ, so daß sie nun, wenn sie aus dem Fenster sahen, das Bild ihrer eigenen verzerrten Züge stets in demselben erblicken konnten. Dieser Neidkopf ist nämlich der Kopf einer Frau, den Schlangen statt der Haare umwinden, und in den Zügen desselben ist Neid und Mißgunst auf die widrigste Weise ausgeprägt. Das Haus, welches der König dem Goldschmied bauen ließ, sowie der daran angebrachte, aus Stein gemeißelte Kopf sind noch vorhanden, und wer es sehen will, der gehe nach der Heiligengeiststraße Nummer 38.
Quelle: Kuhn, Adalbert, Märkische Sagen und Märchen
nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin, 1843.
Nr. 117, S. 204.