Die weiße Frau im Schlosse.
Auf dem Schlosse zu Berlin erscheint jedesmal, wenn ein Mitglied der Königlichen Familie sterben will, vorher die weiße Frau und verkündet den Tod desselben. Sie thut niemandem etwas zu Leide, neigt ihr Haupt vor wem sie begegnet und spricht nichts; ihre Kleidung ist ein langes weißes Gewand und eine gleiche Haube mit hinten zurückgeschlagenem langem Wittwenschleier. So erschien sie zuerst im J. 1598, als der Kurfürst Johann George starb, und hat sich seitdem bei jedem Todesfalle wieder gezeigt. So still und harmlos sie nun auch gewöhnlich ist, so zornig kann sie doch werden, wenn sie beleidigt wird, was sich zur Zeit des großen Kurfürsten einmal deutlich zeigte: sie erschien nämlich in den Jahren 1659 und 1660, kurz vorher, ehe die Mutter des Kurfürsten starb, mehrmals, und der damalige Oberstallmeister v. Burgsdorf äußerte unterschiedliche Male, daß ihn wohl sie zu sehen verlange, denn er war ein beherzter und kühner Mann. Da währte es denn auch nicht lange, so zeigte sie sich ihm, als er Abends eben den Kurfürsten verlassen, und die Stiege nach dem Gar ten, wohin er sein Pferd beschieden hatte, hinunterging. Er fuhr sie darauf zornig an, indem er sie fragte, ob sie noch nicht Fürstenblut genug gesoffen und noch mehr haben wolle, worauf sie ihn statt aller Antwort mit solcher Gewalt die Treppe hinunter warf, daß ihm die Rippen krachten; jedoch erlitt er dadurch keinen weitern Schaden.
Die Erzählungen darüber, wer diese weiße Frau eigentlich sei, sind verschieden. Es wird nämlich berichtet, daß der Kurfürst Johann George, obgleich er seinem Vater, Joachim dem Zweiten, noch auf dem Todbette versprochen habe, die Geliebte desselben, die schöne Gießerin Anna Sydow, auf keine Weise zu kränken noch zu verunehren, dieselbe dennoch nach dem Tode desselben nach Spandow bringen ließ, wo sie endlich im Gefängniß starb. Seit dieser Zeit erscheine sie nun im Hohenzollernschen Hause als Tod verkündender Geist.
Andere sagen, die weiße Frau sei früher eine Gräfin von Orlamünde, Namens Agnes, und die Gemahlin des Grafen Otto, der im dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert lebte, gewesen. Als ihr Gemahl starb und ihr zwei Kinder hinterließ, saß sie auf der Plassenburg und dachte daran, sich wieder zu vermählen. Einstens wurde ihr die Rede Albrechts des Schönen, Burggrafen zu Nürnberg, hinterbracht, der gesagt hatte: "gern wollt ich dem schönen Weib meinen Leib zuwenden, wo nicht vier Augen wären!" Die Gräfin glaubte, er meinte damit ihre zwei Kinder, sie ständen der neuen Ehe im Weg; da trug sie, blind von ihrer Leidenschaft, einem Dienstmanne, Hayder oder Hager genannt, auf, und gewann ihn mit reichen Gaben, daß er die beiden Kindlein umbringen möchte. Der ging auch hin, die That zu vollführen; da sollen die Kinder ihm geschmeichelt und ängstlich gebeten haben: "lieber Hayder, laß mich leben, ich will dir Orlamünden geben, auch Plassenburg des neuen, es soll dich nicht gereuen," sprach das Knäblein; das Töchterlein aber: "lieber Hayder, laß mich leben, ich will dir alle meine Docken geben!" aber der Mörder wurde hierdurch nicht gerührt. Später, als er noch andere Bubenstücke ausgerichtet hatte und gefangen auf der Folter lag, bekannte er: "so sehr ihn der Mord des jungen Herrn reue, der in seinem Anbieten doch schon gewußt habe, daß er Herrschaften auszutheilen gehabt, so gereue ihn noch hundert Mal mehr, wenn er der unschuldigen Kinderworte des Mägdleins gedenke." - Nach andrer Sage hat die Gräfin die Kinder selbst getödtet, und zwar hätte sie Nadeln in ihre zarten Hirnschalen gesteckt. Der Burggraf hatte aber unter den vier Augen die seiner Eltern gemeint und heiratete hernach die Gräfin dennoch nicht. Diese soll nachher fürchterliche Buße gethan haben und ihr Geist seit ihrem Tode umgehn, so den Rest ihrer Schuld abzubüßen.Bis das geschehen, erscheint sie den Hohenzollern, ihnen ihre Seligkeit neidend.
Endlich wird erzählt: Perchta oder Berta, eine geborne Hohenzollern (oder nach andern eine von Rosenberg) war an Johann von Lichtenstein (oder an Mathes von Rosenberg) auf Schloß Neuhaus in Böhmen verheiratet. Er war ein störrischer, wüster Gesell, und oftmals bat sie ihn, seinen Lebenswandel zu ändern, aber es fruchtete immer nur kurze Zeit, und er verfiel bald wieder in die alte Schwelgerei, bis er sich endlich eine schwere Krankheit zuzog und erst auf dem Todbette erkannte, wie viel besser er gethan, wenn er den Lehren seines treuen Weibes gefolgt wäre. Auch sie starb bald danach, aber ihr Geist erscheint noch im Rosenbergschen Hause und in allen, die mit demselben durch Heirat verwandt geworden sind, um bis in alle Ewigkeit für die Seligkeit der Ihrigen zu sorgen.
Quelle: Kuhn, Adalbert, Märkische Sagen und Märchen
nebst einem Anhange von Gebräuchen und Aberglauben. Berlin, 1843.
Nr. 119, S. 210.